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Wir Kinder von Bergen-Belsen

Wir Kinder von Bergen-Belsen

Titel: Wir Kinder von Bergen-Belsen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hetty E. Verolme
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ein armseliger und zitternder Feigling.
    Schwester Luba kam noch einmal zu mir und sagte, Maximilian verstecke sich in dem kleinen Raum am Anfang des Korridors.
    »Hetty, ich möchte, dass du einen Brief schreibst und den Engländern erklärst, dass wir ohne Maximilians Hilfe im letzten Monat verhungert wären und dass du die Befreier bittest, gnädig mit ihm zu sein.«
    Sie gab mir ein Stück Papier und einen Bleistift. Ich wollte es nicht tun, aber sie bestand darauf, und ich war noch zu schwach, um mich zu wehren. Außerdem war ich daran gewöhnt, alles, was Schwester Luba wünschte, ohne Diskussion auszuführen. Deshalb setzte ich mich auf und schrieb auf Niederländisch:
    Dieser Mann mit Namen Maximilian hat den Kindern des Kinderhauses im vergangenen Monat mit Essen geholfen, seien Sie deshalb bitte nicht zu hart zu ihm.
    Ich schrieb meinen Namen und mein Alter darunter und erklärte Schwester Luba, was ich geschrieben hatte. Sie faltete das Papier zusammen und ging.
    Da ich noch immer ans Bett gefesselt war, hatte ich keine Ahnung, was im Korridor passierte, aber je länger ich darüber nachdachte, dass wir einen Feind versteckten, und dies vor der Nase unserer Befreier, die immer noch Zeuge waren, wie Tausende von Leichen direkt vor unserem Barackenfenster begraben wurden, desto unwohler wurde mir. Aber was sollte ich tun? Außerdem war ich von dem ganzen Durcheinander sehr müde geworden und wollte einfach etwas ausruhen. Ich drehte mich mit dem Rücken zum Fenster, denn es bekam mir nicht, mit anzusehen, wie eine Leiche nach der anderen in die riesige Grube fiel. Seit unsere Befreier die Order hatten, die SS nicht mehr zu schikanieren, waren diese auch nicht mehr so vorsichtig. Manchmal zerrten sie eine Leiche über den Boden zum Grab, statt sie zu tragen. Glieder lösten sich von den Körpern, die im fortgeschrittenen Zustand der Verwesung waren, und manchmal fehlte der Leiche, die in die Grube geworfen wurde, der Kopf.
    Mir wurde alles zu viel, offenbar war ich noch immer sehr geschwächt von der zerstörerischen Krankheit und schien viel länger zu brauchen als die anderen, um wieder zu Kräften zu kommen. Keine Ahnung, ob ich an diesem Tag etwas zu essen bekam oder in den Tagen davor. Alles lag wie im Nebel. Es war so viel passiert. Komme, was wolle, dachte ich, morgen stehe ich auf.
    Der Schlafraum war den ganzen Tag über leer, die Kinder spielten draußen in der Sonne oder liefen durch das Lager. Nur Bella, Mala, Leni, Maurice und ich lagen noch immer im Bett. Bella und Maurice hatten die Krise zwar überstanden, waren aber noch ziemlich schlecht dran. Mala und mir ging es schon viel besser. Erstaunlicherweise hatte sich Leni, obwohl sie so schwach und dünn war, nicht mit Typhus angesteckt.
    Am Nachmittag besuchte mich Inge. Ich schimpfte mit ihr, weil sie so lange weggeblieben war. Sie hatte sich schon so gut erholt, dass sie ohne Hilfe zu mir aufs Bett steigen konnte.
    »Wo warst du so lange?«, fragte ich.
    »Na ja«, sagte sie, »nachdem ich dich am Sonntag verlassen hatte, wollte ich Gretel in der SS-Apotheke besuchen und stellte fest, dass sie im früheren Schlafquartier der SS ein provisorisches Krankenhaus eingerichtet hat, und da habe ich ihr eben geholfen.«
    »Du schläfst im SS-Quartier?«, fragte ich. Ein Schauer überlief mich, wenn ich daran dachte.
    Als sie den Schrecken in meinen Augen sah, versicherte sie mir, dass kein SS-Mann mehr in dem Gebäude war.
    »Sie sind alle eingesperrt worden«, sagte sie.
    Ich war nicht ganz überzeugt und hatte das schreckliche Gefühl, dass sie jederzeit zurückkommen könnten.
    »Du brauchst keine Angst zu haben, Hetty«, sagte Inge und legte die Arme um mich. »Die SS ist weg. Wir sind frei.«
    Nach einer Weile beruhigte ich mich und akzeptierte Inges Versicherungen. Sie blieb ungefähr zwei Stunden bei mir, redete und redete, doch dann musste sie wieder zu Gretel gehen, um zu helfen, falls sie gebraucht würde. Nur widerstrebend ließ ich sie ziehen. Ich umarmte sie und sagte, dass ich am nächsten Tag aufstehen würde.
    »Gut«, sagte Inge. »Ich komm bald wieder zu dir.«
    Sie gab mir einen Abschiedskuss, glitt von meiner Pritsche und verschwand.
    Am nächsten Tag wartete ich, bis der Schlafraum fast leer war, dann bereitete ich mich darauf vor, das Bett zu verlassen. Ich nahm meinen grau karierten Rock und meinen Pullover aus dem Regal und zog mich oben auf dem Bett an, so wie ich es in den letzten sieben Monaten immer getan hatte, dann ließ

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