Wir Kinder von Bergen-Belsen
Schwester Luba, »unser neues Haus ist nur etwa hundert Meter von hier entfernt.«
Sie nahm mich an der Hand und wir gingen langsam über einen Rasen zu einem zweistöckigen Gebäude. Schwester Luba versprach, sie würde jemanden zum Lager zurückschicken, um den Füller und die Uhr zu holen. Ich wusste gut genug, dass die Exgefangenen, wenn wir erst einmal weg waren, sich wie die Geier auf das Kinderhaus stürzen würden, auf der Suche nach irgendetwas Brauchbarem.
Wir betraten unser neues Haus, und ich war glücklich, Schwester Hermina zu sehen, sauber und in einer weißen Schwesternschürze. Ihre dichten, welligen Haare hatte sie zurückgesteckt, sie sah wirklich sehr hübsch aus. Sie lächelte, als sie mich mit Schwester Luba hereinkommen sah. Ich erzählte ihr sofort von meinem Unglück, dass ich meine kostbaren Erinnerungsstücke an meinen Freund Herman verloren hatte. Sie legte die Arme um mich, und Schwester Luba wiederholte abermals, sie würde sofort jemanden hinschicken, um nach ihnen zu suchen.
Schwester Hermina brachte mich in die Küche, den ersten Raum neben dem Eingang. Dort standen Stühle um einen langen Tisch. Sie sagte, ich solle mich hinsetzen, und stellte mir gleich eine Schüssel Brei und einen Becher heißen Tee hin. Ich brachte aber nur zwei Löffel voll hinunter.
Dann führte sie mich langsam am Geländer der Treppe ins obere Stockwerk hinauf. Ich betrat einen hübschen Raum, in dem nur zwei Betten mit schneeweißem Bettzeug standen. Ich traute meinen Augen nicht.
»Kann ich hier schlafen?«, fragte ich.
»Ja«, sagte Schwester Hermina. »Eines der ungarischen Mädchen wird das Zimmer mit dir teilen.«
Ich ging zu einem Bett und strich mit der Hand über das weiße Bettzeug. Es roch so angenehm. Schwester Hermina sagte, wir müssten nun hinuntergehen und schauen, ob die anderen Kinder angekommen seien.
Mein Gott, dachte ich, wo sind Max und Jackie?
Und wieder hatte ich Robbie und Jiddele vergessen. Ich folgte Schwester Hermina die Treppe hinunter, wobei ich mich mit beiden Händen wieder am Geländer festhielt. Die Diele war voll, denn inzwischen waren die meisten Kinder angekommen. Schwester Luba stand mitten unter ihnen. Auch ein paar englische Krankenschwestern waren da und halfen, für jeden einen Schlafplatz in einem der vielen Räume des Gebäudes zu finden. Ich sah Iesie und fragte ihn, ob er meine Brüder gesehen habe.
»Ja«, sagte er. »Sie sind losgezogen, um das Lager zu erforschen. Sie sind in Ordnung, mach dir keine Sorgen.«
Es war seltsam, nicht mehr im Schlafraum zu schlafen und von Max und Jackie getrennt zu sein, doch die kühlen Laken und der saubere Pyjama fühlten sich so gut an, dass ich sehr schnell einschlief und erst spät am nächsten Morgen wieder aufwachte.
Das ungarische Mädchen war schon weg. Ich zog mich an und ging hinunter. Schwester Luba stand in der Diele und machte ein sehr verärgertes Gesicht. Ich erkundigte mich, was los sei.
»Diese Französin, Maria, hat Essen und Schutz in unserer Baracke bekommen, und jetzt reißt sie hier alles an sich«, sagte sie.
Ich schaute in die Richtung, in die Schwester Luba zeigte, und konnte Maria sehen, die sich angeregt mit zwei französischen Roten-Kreuz-Schwestern unterhielt. Ich wollte zu ihr hinübergehen, als Jaap Ebeling mit einer netten niederländischen Krankenschwester hereinkam. Ich erklärte Jaap die Situation und drängte ihn, etwas zu unternehmen. Zusammen mit Jaap ging ich zu Maria und den französischen Krankenschwestern. Zu meiner Überraschung sprach er fließend französisch und nach einer kurzen Unterredung war Schwester Lubas Position gerettet. Jaap stellte Schwester Luba und mich vor und machte allen klar, dass sie für das Kinderhaus verantwortlich war.
Das Wetter war nieselig, der Himmel grau. Die meisten Kinder spielten und rannten vor dem Haus im feuchten Gras herum. Ich ging ein bisschen neben ihnen her, aber dann wurde ich so müde, dass ich ins Haus zurückmusste.
Es fiel mir sehr schwer, die Treppen wieder hinaufzukommen. Eine Schwester kam mir zu Hilfe und brachte mich ins Bett, nachdem sie mir den Mantel und die Schuhe ausgezogen hatte. Sie deckte mich gut zu, dann ging sie. Langsam ließ die Kälte, die in meinen Körper gekrochen war, nach und machte einer angenehmen Wärme Platz. Ich döste ein und musste wirklich tief geschlafen haben, denn als ich aufwachte, war es schon später Nachmittag.
Das ungarische Mädchen kam zurück, als es dunkel wurde. Sie war mindestens
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