Wir Kinder von Bergen-Belsen
sie, »du gehst heim, und ich hoffe, dass du deinen Vater und deine Mutter wiederfinden wirst, also vergiss die Vergangenheit und schaue in die Zukunft. Wir haben für eine bessere Welt gekämpft, und jetzt bist du dran, verstehst du mich?«
Ich nickte.
»Trink deinen Tee«, befahl Cookie. »Ich muss mich um das Frühstück kümmern, gleich wird die ganze Bande hier einfallen.«
Ich trank den Tee, bedankte mich bei Cookie und ging zurück ins Zimmer. Das ungarische Mädchen wachte auf, als ich eintrat.
»Hallo«, sagte sie. »Hast du gepackt?«
»Da ist nichts zu packen, nur meine Weste und meinen Mantel«, sagte ich.
»Hier.« Sie gab mir zwei neue Unterhosen und eine Schachtel Zigaretten. Dann zog sie mein Kissen ab und legte die Zigaretten und die Unterhosen in den Überzug. »Gib mir deine Weste und alles, was du mitnimmst.«
Ich gab ihr meine Weste, die Zahnbürste und das Döschen Zahnpasta. Das waren all meine Besitztümer. Der Kissenbezug sah noch sehr leer aus.
»Warte«, sagte ich. »Ich muss noch die Messinghülse mitnehmen.«
Ich tauchte unter das Bett, holte die Hülse und legte sie
ebenfalls hinein. Ich war bereit. Wir gingen beide hinunter, um zu sehen, was los war. Ich trug den Kissenbezug, der sich jetzt etwas schwerer anfühlte. Unten war schon viel Betrieb. Die meisten Kinder waren angezogen und warteten in der Diele. Sie drängten sich um mich und stellten tausend Fragen. Obwohl wir alle wussten, dass wir nach Hause fuhren, in die Niederlande, waren wir doch besorgt, denn die meisten erinnerten sich nur zu gut, was für eine schwere Zeit wir durchgemacht hatten, bevor die SS uns abgeholt hatte. Und wir verließen das Heim, an das wir uns gewöhnt hatten. Ich versicherte ihnen, dass es wunderbar sein würde, nach Hause zu kommen.
»Und denkt dran«, sagte ich, »Schwester Luba kommt mit uns.«
Es gelang mir, sie zu beruhigen, und bald erreichte die Aufregung ihren Höhepunkt. Um zehn Uhr würden wir losfahren, hatte man uns gesagt. Inge und Gretel kamen um halb acht, sie hatten ebenfalls nichts zu tragen außer den Kleidern, die sie anhatten.
Jaap kam um acht und sagte, er würde mit uns fahren.
Was für eine Überraschung! Ich umarmte ihn und fragte: »Ist das in Ordnung mit der Armee?«
»Ja«, sagte er, »ich kann mit euch fahren, sie haben mich entlassen.«
Jaap war mir seit der Befreiung sehr teuer geworden, auch für die anderen war er ein vertrauenswürdiger und guter Freund. Als sich die wunderbare Nachricht verbreitete, dass Jaap mit uns kommen würde, waren die Kinder glücklich und drängten sich um ihn.
Das Haus war inzwischen sehr voll geworden. Alle Schwestern, Hermina, Hella und ihre Mutter, Maria, Helen, Zosua und ein paar englische Krankenschwestern und Cookie hatten sich in der Diele versammelt, um die letzten Minuten mit uns zu verbringen.
Schwester Luba und Schwester Hermina standen dicht beieinander. Hermina hatte Tränen in den Augen, während sie leise auf Schwester Luba einsprach. Zu ihren Füßen stand eine große Armeetasche, die sie mit Mehl, Zucker und ein paar Brotlaiben gefüllt hatte. Cookie hatte einen ganzen Berg belegter Brote vorbereitet, für unterwegs. Plötzlich waren die Lastwagen da. Ein Kind nach dem anderen ging zu den Schwestern und bedankte sich für ihre Fürsorge. Als die Reihe an mich kam, küss-te ich Schwester Hella und dankte ihr und ihrer Mutter, danach verabschiedete ich mich von den anderen Schwestern, bis ich zu Schwester Hermina kam. Ich legte meine Arme um ihre Taille, vergrub mein Gesicht an ihrer Brust und wollte sie nicht loslassen. Ich weinte bitterlich. Der Schmerz, mich von dieser wundervollen Frau verabschieden zu müssen, war zu viel für mich. Ich hob mein tränenüberströmtes Gesicht.
Schwester Hermina beugte sich zu mir und sagte: »Hettylein, mein Schatz, lass es dir gut gehen. Ich habe dich sehr lieb.« Sie küsste mich und ich umarmte sie noch fester, dann, mit großer Anstrengung, ließ ich sie los und ging hinaus zu den Lastwagen.
Schwester Luba und ich stiegen als Letzte in den zweiten Wagen. Gretel und Inge waren schon da und kümmerten sich um die Kinder. Captain Gazan und Jaap waren für den ersten Lastwagen verantwortlich. Die Motoren wurden angelassen, die Lastwagen setzten sich in Bewegung. Alle Schwestern und Pflegerinnen waren herausgekommen und winkten uns zum Abschied zu. »Lebt wohl, lebt wohl, auf Wiedersehen«, riefen wir, bis die kleine Gruppe nicht mehr zu sehen war. Wir waren endlich auf
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