Wir Kinder von Bergen-Belsen
Scharführer zu schikanieren. Als er Onkel Max und Papa unter den Männern entdeckte, schrie er: Ah, da sind ja unsere kriminellen Brüder.« Onkel Max und Papa sprangen auf und standen stramm. Müller begann mit Onkel Max.
»Du faules Schwein«, bellte er ihn an. »Kannst du nicht ein bisschen schneller arbeiten? Pass auf. Ich zeige dich wegen Sabotage an. Dann wirst du erschossen.«
Um Müller zu beeindrucken, schlug der Scharführer Onkel Max gegen den Kopf. Dann drehte sich Müller zu Vater um und bemerkte, dass dieser zwei Wollschals um den Hals gewickelt hatte.
»Wozu ist das gut?«, schrie er Papa an.
»Ich habe Halsschmerzen, Herr Oberscharführer«, antwortete Papa.
»Stimmt das auch?«, sagte Müller. »Ich weiß eine bessere Verwendung für deinen Schal.« Er drehte sich zu dem Scharführer um. »Komm her. Pack hier an, dann werden wir diesem Schwein da zeigen, wozu sein Schal gut ist.«
Müller nahm Papas Schal an einem Ende und gab dem Scharführer das andere. So hoben sie Papa vom Boden hoch und der Schal zog sich fester und fester um seinen Hals.
»Siehst du das, du Verbrecher«, schrie Müller, »das tun wir mit einem Schwein, wie du eines bist.«
Müller ließ den Schal los und Papa fiel auf den Boden. Keuchend rang er nach Luft und es flimmerte ihm vor den Augen. Danach ging Müller einfach wieder weg.
»Mein Gott«, sagte Mama, »dich mit deinem eigenen Schal aufhängen. Was für Tiere sind sie doch!« Erschrocken dachten wir alle: Wie nahe sind wir doch daran gewesen, ihn zu verlieren.
»Du solltest deinen Schal lieber nicht mehr anziehen«, sagte ich. »Oder versteck ihn unter deinem Hemd, damit sie ihn nicht mehr sehen.«
In unserem Lager geschahen schreckliche Dinge. In den letzten Tagen war den Insassen einiger Baracken befohlen worden, mit ihren Sachen in andere Baracken umzuziehen. Solche Befehle kamen normalerweise gegen Abend, wenn die Arbeitskolonnen gerade zurückgekommen waren und alle vor Müdigkeit umfielen. Diese Umzüge dauerten bis spät in die Nacht und mussten noch dazu ohne Licht erledigt werden. Und die Leute hatten Angst, ob sie auch wirklich Betten in den angegebenen Baracken finden würden. Es waren diese neulich fertig gestellten, düsteren Baracken neben dem Appellplatz. Da die Pritschen so dicht nebeneinander standen, drängten und stießen sich die Menschen vorwärts, um in der Dunkelheit ein Bett zu finden, nur um zu entdecken, dass es weder Matratzen noch Bretter gab, auf die man die Matratzen hätte legen können. Es war ein Tollhaus. Unsere Baracke war bis jetzt noch verschont geblieben, aber wir wussten, dass wir vermutlich auch bald drankommen würden.
Es war Freitagabend, kühl und nieselig, als jemand hereinkam und alle einigermaßen kräftigen Männer dringend bat, mitzukommen und den alten Leuten zu helfen, die umziehen mussten.
»Wie sadistisch diese Schweinehunde doch sind!«, sagte mein Vater und machte sich auf zur Krankenbaracke. Allen sah man an, wie erschüttert sie waren.
Als unsere Gruppe im Februar angekommen und Bergen-Belsen noch »neu« war, hatte Albala mit Erlaubnis des SS-Arztes den Alten und Geschwächten zwei Baracken angewiesen. Eine davon war für Leute, die an Infektionen litten. Die SS hatte große Angst davor, dass Infektionen in ihren Wohnbereich geschleppt werden könnten. Die alten Leute wurden von einem Pfleger und einigen Frauen versorgt. Die Krankenbaracken wa-ten von einem Zaun umgeben, dem sich niemand nähern durfte. Ernsthaft Kranke wurden zwar in die Krankenbaracke gebracht, aber selten kam von dort jemand zurück. Täglich konnte man sehen, dass eine oder zwei Leichen auf ihren einsamen Weg zum Krematorium gebracht wurden. Ich erinnere mich an eine schöne junge Frau mit einem wunderbaren Baby. Ich hatte das Baby sehr geliebt und viele Stunden mit ihm gespielt. Die Frau wurde ziemlich bald nach unserer Ankunft krank und starb zwei Tage später im Krankenhaus. Einige Frauen schauten nach dem Kleinen, doch dann wurde auch er krank. Sein Vater brachte ihn Ins Krankenhaus und blieb bei ihm, um für ihn zu sorgen. Später erfuhr ich, dass der Kleine ebenfalls gestorben war, dass sein Vater aber dort geblieben war und als Pfleger arbeitete. Manchmal konnte ich ihn hinter dem Zaun der Krankenbaracke sehen, Er war nicht schwer zu erkennen, denn er hatte einen roten Vollbart, den er sich nach dem Tod seiner Frau und seines Sohnes hatte wachsen lassen.
Papa blieb stundenlang weg. Tatsächlich kam er in dieser Nacht
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