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Wir Kinder von Bergen-Belsen

Wir Kinder von Bergen-Belsen

Titel: Wir Kinder von Bergen-Belsen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hetty E. Verolme
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Schläge an den Türen gehört und waren erleichtert gewesen, wenn das Stapfen der schweren Stiefel an uns vorübergegangen war. Hier in Bergen-Belsen war es nicht anders. Die Menschen zu entwurzeln war nichts als eine sadistische Methode, sie in Panik zu versetzen, eine Methode mit einer großen psychologischen Wirkung.
    Mama, Papa, Jackie und Max waren losgezogen, um die neue Baracke zu inspizieren und Betten für uns zu suchen. Ich war zurückgelassen worden, um den Koffer und unsere schon zusammengerollten Decken zu bewachen. Während ich oben auf unserem Bett saß, betrachtete ich den nun fast leeren Raum. Da und dort lagen noch ein paar vergessene Besitztümer herum. Sie werden nicht lange da liegen bleiben, dachte ich, bestimmt wird irgendjemand sie brauchen können. Etwas weiter machte sich ein  älteres Paar für den Umzug bereit, der Mann trieb die Frau zur Eile an, er fürchtete, sie würden sonst kein Bett mehr finden. Die Frau weinte, sie bewegte sich langsam und unbeholfen.
    »Los«, drängte der Mann. »Komm, gib mir den Koffer, dann hast du es leichter.«
    Traurig schaute ich zu, wie sie die Baracke verließen. Die Frau wird nicht mehr lange leben, dachte ich, und sie war so eine nette alte Dame. Als wir vor zehn Monaten gekommen wa-ren, hatte sie immer freundlich gelacht, doch inzwischen hatte der ständige Mangel an Essen dazu geführt, dass sie knochig und alt und erschöpft aussah.
    Zwei Stunden später kamen Mama und Papa zurück.
    »Du lieber Himmel, wo habt ihr denn so lange gesteckt?«, fragte ich.
    »Sei still«, sagte Mama. »Ich habe eine Überraschung für dich.«
    Sie stiegen zu mir herauf und Mama öffnete ein Bündel, das aus einem Stück alten Stoff bestand.
    »Hier, das darfst du alles essen«, sagte sie und gab mir eine der großen Kartoffeln, die in der Schale gekocht und noch immer sehr heiß war.
    »Wie habt ihr das geschafft?«, fragte ich.
    Papa antwortete mir. »Es war die Idee deiner Mutter, das Chaos, das zurzeit im Lager herrscht, auszunutzen. Deshalb sind wir in die Krankenbaracke gegangen, mit den Kartoffeln, und weil alle mit ihren Bündeln und Koffern beschäftigt waren, hat niemand etwas gemerkt.«
    Während die Kartoffeln kochten, zogen sie los, um in der neuen Baracke Betten für uns zu finden. Sie trieben zwei Mat-ratzen auf und auch Bretter, die als Unterlage dienen konnten. Max und Jackie waren zurückgeblieben, um die Betten zu bewa-chen, und meine Eltern holten die Kartoffeln. Während Mama und Papa mir das alles erzählten, pellte ich die Schale von der einen Kartoffelhälfte, brach ein Stück ab und begann langsam zu essen. Die Kartoffel war nämlich noch immer sehr heiß. Mama und Papa aßen ebenfalls ihre Kartoffeln, mit etwas Salz, das Mutter aus unserem Koffer geholt hatte. Wir schwiegen, während wir in der jetzt verlassenen Baracke oben auf dem Bett saßen und aßen. Aber was war das? Ich schaute Mama überrascht an. Ich hatte nur eine halbe Kartoffel gegessen, als ich keinen Bissen mehr runterbrachte. Ich war satt. Mein Magen konnte nichts mehr aufnehmen. Dabei hätte ich geschworen, eine ganze Kuh aufessen zu können, so hungrig war ich gewesen.
    »Ich kann nicht mehr«, sagte ich.
    »Mach langsam«, sagte Mama. »Dein Magen ist geschrumpft. Heb dir den Rest lieber fürs Frühstück auf.« Sie öffnete den Lappen, in dem noch immer zwei Kartoffeln für Max und Jackie lagen.
    »Hier«, sagte sie, »leg sie hier zurück, ich hebe sie dir für morgen auf.« Ich legte die halbe Kartoffel hinein, sie schlug das Tuch zusammen und packte es in den Koffer.
    »Nun«, wollte sie wissen, »war's gut?«
    Ob es gut war? Natürlich war es gut. Zum ersten Mal seit vielen Monaten war mein Magen voll und ich spürte keinen Hunger.
    »Wir sollten lieber gehen, es wird spät«, sagte Papa.
    Zum letzten Mal stiegen wir von unserem Bett hinunter. Papa trug die beiden Koffer, Mama und ich je ein Bündel mit Decken.
    Es war dunkel, als wir die Baracke verließen. Für die Jahreszeit war es verhältnismäßig mild. Noch immer schlurften draußen ein paar Menschen herum, doch die meisten waren bereits in ihren Baracken. Wir überquerten den Appellplatz. Unsere neue Baracke war nicht so schlimm, wie ich erwartet hatte. Ein paar Leute hatten eine der Kerzen angezündet, die sie vor langer Zeit von zu Hause mitgebracht hatten. Die Kerzen verbreiteten ein schwaches Licht, das uns half, unsere Betten zu finden. Max und Jackie waren froh, als wir kamen, sie hatten in der

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