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Wir Kinder von Bergen-Belsen

Wir Kinder von Bergen-Belsen

Titel: Wir Kinder von Bergen-Belsen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hetty E. Verolme
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    Umgebung ein bisschen Angst gehabt. Mama gab jedem von ihnen eine Kartoffel, bevor wir unsere Betten so gut herrichteten, wie es unter diesen Umständen möglich war. Beim Anblick der Kartoffeln hörten die Jungen auf, sich zu beklagen, dass sie so lange hatten warten müssen. Noch bevor Max seine Kartoffel lertig gegessen hatte, sagte Papa, sie müssten rechtzeitig vor der Sperrstunde gehen. Wir gaben uns einen Gutenachtkuss, und Papa und Max gingen weg.
    Mama hatte es geschafft, eine Pritsche ganz oben zu ergattern und die darunter für Jackie. Die Pritschen waren so knapp, dass Jackie seine mit einer anderen Frau teilen musste. In der untersten schliefen zwei Schwestern. Bald wurde uns gesagt, dass die Lichter gelöscht werden müssten. Der Raum war vollkommen dunkel. Mama hatte kaum den Kopf auf das Kissen gelegt, da war sie auch schon eingeschlafen. Ich starrte in die Dunkelheit und lauschte auf die Geräusche der vielen Menschen, die sich in der Enge ihrem erschöpften Schlaf hingaben. Dann drehte ich mich auf die Seite um und schaute durch das Fenster neben unserer Pritsche. Ich konnte den verlassenen Appellplatz sehen, der von der großen Lampe am Tor schwach erleuchtet wurde, die Baracken, die ihre Schatten auf die Erde warfen. Ich weiß noch nicht mal, wo die Toiletten sind, dachte ich und befahl mir, nicht darüber nachzudenken, denn sonst würde ich gleich gehen müssen. Ich beugte mich über den Pritschenrand, und als sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte ich Jackie erkennen, der friedlich im Bett unter uns schlief. Ich musste eingedöst sein, denn ich wachte auf, als Mama vorsichtig die Decke zur Seite schob, um zur Arbeit zu gehen. Wir hatten uns völlig angezogen zum Schlafen hingelegt. An dem noch unbekannten Ort fühlten wir uns in unserer Kleidung sicherer.
    »Mama«, flüsterte ich, »wo sind die Toiletten?«
    Sie sagte mir, wo ich sie finden würde, gab mir einen Kuss und war auch schon verschwunden. Draußen war es noch immer dunkel, und als ich durch das Fenster schaute, konnte ich etwa vierzig Frauen sehen, die aufgereiht auf dem schwach erleuchteten Appellplatz standen und von der SS gezählt wurden, bevor sie durch das Tor hinausmarschierten.
    Max kam am frühen Morgen und holte unsere Becher, um Jackie und mir etwas von dem schlammigen braunen Kaffee zu bringen. Er brauchte nicht lange, bis er zurückkam, und als er sie mir vorsichtig reichte, musste er aufpassen, nichts zu verschütten. Unser Bett war ja viel höher als das in der vorigen Baracke. Dann kletterte er schnell selbst herauf und legte sich zu uns unter die Decke, Jackie war schon vorher zu mir gekommen. Unsere Körper strahlten angenehme Wärme aus. Jackie und ich schlürften das warme Getränk, während wir unsere Umgebung betrachteten. Im Licht des Morgens erkannten wir nicht viele Gesichter, die uns aus der vorigen Baracke vertraut waren. Zu unserer Überraschung sahen wir, dass auch Männer in der Baracke schliefen. Warum das so war, wussten wir nicht, und eigentlich war es uns auch egal. Die Frauen waren nicht mehr prüde, sie zogen sich aus und wuschen sich, manchmal standen sie ganz nackt vor den Augen von Fremden. Das kümmerte niemanden. Wer wollte solche knochigen Frauen schon betrachten. Jeder hatte nur einen einzigen Gedanken, woher er etwas zu essen bekommen könnte, um am Leben zu bleiben.
    Wir drei hielten uns den ganzen Tag in der Baracke auf und verließen sie nur für drei Stunden, um auf dem Appellplatz zu stehen. Bevor wir hinausgingen, bedeckten wir den Koffer, der unseren kostbaren Zucker enthielt, mit einer Decke und überzeugten uns, dass wir das Bett entsprechend den SS-Standards gemacht hatten.
    Die Stunden, in denen wir auf die Rückkehr unserer Eltern warteten, gingen langsam vorbei. Morgens aß ich den Rest meiner Kartoffel, nachdem ich Max und Jackie ein kleines Stück abgegeben hatte. Sie hatten ihren Anteil schon am Abend zuvor aufgegessen, aber irgendwie schaffte ich es nicht, allein zu essen. Wir fühlten uns noch nicht zu Hause, denn wir kannten kaum jemanden. Hier wohnten mehr als doppelt so viele Menschen als in unserer früheren Baracke. Mittags holte Max unsere Suppe, und, wie üblich, hoben wir einen Napf voll Suppe für Papa auf. Er war immer so hungrig, wenn er von der Arbeit zurückkam. Als es so weit war, zogen die Jungen los, um ihn am Tor abzuholen. Papa fragte immer, ob Mama schon zurück war, denn in den letzten Monaten hatte sie sehr oft länger

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