Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wir Kinder von Bergen-Belsen

Wir Kinder von Bergen-Belsen

Titel: Wir Kinder von Bergen-Belsen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hetty E. Verolme
Vom Netzwerk:
Ihre Autorität hatte sich in den wenigen Malen, die sie bei uns gewesen war, deutlich gezeigt. Ich muss ihren Namen herausfinden, dachte ich noch, bevor ich einschlief.
    Beim Morgengrauen wachte ich auf, schaute aus dem Fenster und sah, dass die grauen, tief hängenden Wolken noch immer da waren. Max drehte sich neben mir herum und wurde langsam wach, dann auch Jackie und Loukie.
    Plötzlich setzte sich Max mit einem Ruck aufrecht hin und sagte: »Emile muss den Topf hinausbringen.«
    Das stimmte. Jackie und Loukie waren nun auch wach und schauten sich um, ob Emile schon aufgestanden war, aber er schlief noch. Iesie, der ebenfalls wach war, sagte zu Loukie, er solle Emile wecken und ihm sagen, dass er den Topf hinausbringen müsse. Mit verschlafenen Augen stand Emile auf, um seine Aufgabe zu erledigen. Max und Jackie hoben den Topf von seinem Platz oben auf dem Bett vorsichtig herunter und gaben ihn Emile, der mit ausgestreckten Armen unten stand. Die Prozedur erschien mir nicht ungefährlich, weshalb ich aufstand, um die Aktion »Topf-Senken« zu überwachen. Ich warnte Max und Jackie, sehr vorsichtig zu sein, ich wollte nicht das ganze Zeug auf dem Fußboden haben. Als ich Emile betrachtete, wie er da stand, glaubte ich nicht, dass er den schweren Topf allein tragen konnte, und stellte mir vor, was dann passieren würde. Er hatte die Hände schon an den Topfhenkeln.
    »In Ordnung?«, fragte Max.
    »Ja«, sagte Emile.
    In diesem Moment ließ Max den Griff los, und zwar genau eine Sekunde eher als Jackie. Das Ergebnis war verheerend. Der Topf wackelte und ein Teil des Inhalts schwappte auf Emile und auf den Fußboden. Trotz des Missgeschicks hielt Emile den Topf fest und verhinderte, dass der Rest auch noch auskippte. Er wich zurück, noch immer den Topf in der Hand.
    »Stell ihn ab!«, schrie ich ihn an.
    Emile stellte den Topf hart auf den Boden, wobei er noch mehr von dessen Inhalt verspritzte.
    »Loukie, geh und leere mit Emile den Topf aus«, sagte ich.
    Nun, da das Gewicht auf beide Jungen verteilt war, war die Gefahr weiteren Verschüttens gebannt. Jemand hielt ihnen die Hintertür auf, und wir sahen, dass es über Nacht geschneit hatte. Das reine Weiß des Schnees bildete einen scharfen Kontrast zu den grauen Wolken. Es war totenstill draußen, kein Geräusch war zu hören. Bei dem Drama mit dem Topf waren alle Kinder aufgewacht und jetzt ganz aufgeregt, als sie den Schnee sahen. Sie wollten hinaus und im Schnee spielen. Ich sagte, sie sollten erst frühstücken, danach könnten sie eine Weile spielen.
    Loukie und Emile kamen mit dem leeren Topf zurück, sie hatten ihn am Wasserhahn hinter unserer Baracke schon ausgespült. Ich schickte Emile mit einem alten Handtuch zum Hahn zurück, um sich das Gesicht zu waschen und seinen Pulli zu reinigen, den einzigen, den er besaß. Eva nahm ein paar der Kinder mit, die ihr helfen sollten, unsere Näpfe zu spülen. Als alle draußen waren, versuchte ich den schmutzigen Boden mit ein paar Lappen zu reinigen, die ich in einem der Koffer gefunden hatte. Wir frühstückten erst, als alle zurück waren. Danach schickte ich die Kinder hinaus, um die Näpfe zu spülen, damit sie zum Mittagessen sauber waren, dann durften sie draußen im Schnee spielen. Was für strahlende Augen und was für rosige Wangen sie hatten, als sie nach einer Stunde wieder hereinkamen.
    Der Tag ging ereignislos vorbei und dann gab es Abendessen. Seit zehn Monaten hatten wir nicht so gut gegessen wie jetzt und ich schickte unhörbar ein Dankgebet zum Himmel. Wir waren in Ruhe gelassen worden, an diesem Tag war niemand gekommen. Wir hatten etwas zu essen und ein Dach über dem Kopf.
    Ich hatte mit Iesie besprochen, dass jemand Emile mit dem Topf helfen müsse. Wir wählten Loukie dafür aus, weil er offenbar gut mit Emile zurechtkam. Wir beschlossen auch, dass Bram, der größte, die Aufgabe bekommen solle, den Topf vom Bett zu heben und auf den Boden zu stellen, dann konnten Emile und Loukie ihn hinausbringen. Loukie war ein netter Junge, neun Jahre alt, mit einem sehr angenehmen Charakter und einem immer freundlichen Lächeln. Er war sofort bereit zu helfen. Am nächsten Morgen fand die Aktion mit dem Topf wieder statt, diesmal jedoch ohne irgendwelche unerfreulichen Vorkommnisse.

7. Kapitel
    Ein Tag folgte dem anderen, wir entwickelten Routine. Diejenigen, die zu irgendwelchen Aufgaben eingeteilt worden waren, erledigten sie nun ohne Aufsicht. Und dank der regelmäßigen Lieferungen jener Frau,

Weitere Kostenlose Bücher