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Wir Kinder von Bergen-Belsen

Wir Kinder von Bergen-Belsen

Titel: Wir Kinder von Bergen-Belsen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hetty E. Verolme
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erschien, nähte ich alle Socken, die ich finden konnte, in die Hosen von Max, Jackie, Iesie und Loukie.
    Schwester Luba war im ganzen Lager als unsere Beschützerin bekannt. Sie hatte eine Gruppe von Frauen um sich gesammelt, die sie bei ihrer Arbeit unterstützten. Es bestand kein Zweifel, dass sie die treibende Kraft war, während Schwester Hermina als ihre Stellvertreterin fungierte, wenn sie selbst, Schwester Luba, zur Essensbeschaffung unterwegs war.
    Bei den Prominenten wurde es »Mode«, Röcke aus karierten Stoffen zu tragen. Wo sie diese herbekamen, wusste nur Gott, aber man konnte sie damit herumlaufen sehen. Bald ergatterten Schwester Luba und Schwester Hermina ebensolche Röcke. Unsere Schneiderin war Schwester Hella, und nun hatte Schwester Luba noch eine zweite gefunden, Maria aus Paris, die unsere Kleidungsstücke flickte und sich damit Essen und Schutz verdiente. Wann immer ich sie im Esszimmer traf, war sie sehr freundlich zu mir. Allerdings war mir klar, dass sie deshalb so freundlich war, weil ich Schwester Lubas Liebling war.
    Unser ganzes Leben konzentrierte sich um Schwester Luba. Sie gab uns die Sicherheit, die wir so dringend brauchten. Immer, wenn sie morgens wegging, um Essen für uns zu organisieren, warteten die Kinder am Tor zu unserem Hof auf ihre Rückkehr. Wenn sie sie auf der Straße entdeckten, rannten sie zurück in die Baracke und riefen: »Schwester Luba kommt! Schwester Luba kommt!«
    Eines Nachts, als wir alle im Bett waren, hörten wir Schritte im Flur unserer Baracke. Ich beschloss, nachzusehen, was los war. Als ich vorsichtig die Tür unseres Schlafraums öffnete, sah ich ein paar Gefangene, die Karren mit Brotlaiben in Schwester
    Lubas Zimmer brachten. Schwester Luba sah mich und legte einen Finger auf die Lippen, um mir zu bedeuten, dass ich keine Fragen stellen sollte. Als die Gefangenen gegangen waren, erzählte sie mir, ein junger SS-Offizier sei ihr behilflich gewesen, das Brot für die Kinder zu organisieren.
    Am nächsten Tag kam der Offizier zu uns in die Baracke und wir konnten unseren Wohltäter sehen. Er war jung, vielleicht fünfundzwanzig Jahre alt, groß, mit schwarzen Haaren. Er hieß Maximilian. Bald war zu merken, dass er etwas für Schwester Hella übrig hatte. Er besuchte unsere Baracke oft, meistens nachts, wenn Brot oder Mehl gebracht wurden, die er für uns organisiert hatte.
    Es war in der zweiten Februarwoche 1945, als ich lautes Weinen aus dem Esszimmer hörte. Gefolgt von ein paar Kindern, rannte ich so schnell wie möglich hinüber und erkannte Schwester Luba und zwei andere Schwestern. Schwester Luba wiederholte immer wieder: »Es ist so schrecklich, es ist so schrecklich.«
    »Was ist denn passiert?«, fragte ich.
    Keine der Frauen gab mir eine Antwort, und die Situation verschlimmerte sich, als auch die Kinder anfingen zu schluchzen. Sie waren erschrocken und verwirrt, Schwester Luba in diesem ungewohnten Zustand zu sehen. Ich versuchte die Kinder in dem entstandenen Chaos wieder zu beruhigen. Nach einer Viertelstunde legte sich das Weinen, und erst jetzt schien Schwester Luba bemerkt zu haben, dass ich mit den Kindern dastand. Sie sah schrecklich aus. Ihr Gesicht war tränenüberströmt, mit roten, verschwollenen Augen. Auch ich war erschrocken, und als ich zu ihr hinging, legte sie ihren Kopf an meine Schulter und weinte von neuem.
    »Oh Gott«, sagte sie, »Philipje ist tot.«
    Ich erstarrte. Ich wusste, dass Philipje krank war, denn die Frau Doktor war mit Kurt, dem SS-Arzt, vor einigen Tagen in unsere Baracke gekommen. Ich hatte zugeschaut, wie sie Philip-je untersucht und dann für eine Operation am Mittelohr ins Krankenhaus mitgenommen hatten. Philipje war an jenem Abend um acht Uhr zu uns zurückgebracht worden. Am Tag nach der Operation hatte es ausgesehen, als erhole er sich gut, doch nun war er tot. Ich war tieftraurig und fragte mich, ob Philipje wirklich den Willen gehabt hatte, zu leben. Er war so ein stilles Kind gewesen. Er saß nur, wenn man ihn hinsetzte, und er weinte selten. Ich glaubte, er hatte seine Mutter so sehr vermisst, dass er nicht leben wollte. Und natürlich hatte der Kleine nie ausreichend Nahrung bekommen, um zu wachsen. Ich weinte, zusammen mit allen andern.
    Als es etwas ruhiger geworden war, forderte Schwester Luba Schwester Hermina auf, ihr dabei zu helfen, Philipje zum Leichenhaus zu bringen. Beide gingen zum Schlafraum. Ich folgte ihnen, blieb aber in einer gewissen Entfernung von Philipjes Bett stehen.

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