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Wir Kinder von Bergen-Belsen

Wir Kinder von Bergen-Belsen

Titel: Wir Kinder von Bergen-Belsen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hetty E. Verolme
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Ich sah, wie Schwester Luba den Kleinen sehr sanft in eine blaue Babydecke wickelte. Schwester Hermina nahm das kleine Bündel und ging, gefolgt von der weinenden Schwester Luba, an mir vorbei. Ich konnte das blaue Bündel sehen, aber es kam mir so unwirklich vor, als wäre es nicht Philipje, der sich in der Decke befand. Vielleicht hatte seine kleine Seele bereits den Körper verlassen und suchte nach seiner Mama.
    »Ruhe in Frieden«, murmelte ich, als Schwester Luba und Schwester Hermina die Baracke verließen, Richtung Leichenhaus.
    Es war der erste Todesfall in unserer Gruppe und wir waren während der folgenden Tage verstört und sehr bedrückt.
    Eines Nachts kamen drei polnische Kinder von Ravensbrück. Ihre Köpfe waren geschoren, aber sie sahen gesund aus. Sie waren die ersten Kinder einer anderen Nationalität, die zu unserer Gruppe stießen: zwei Mädchen und ein Junge. Wir verstanden, dass das ältere Mädchen, das etwa in meinem Alter war, Mala hieß, aber unterhalten konnten wir uns nicht mit ihnen. Deshalb blieben sie im Esszimmer, bei Schwester Hermina, Schwester Hella und der Hexe, die alle Polnisch sprachen.
    Wegen des schlechten Wetters mussten die Kinder in der Baracke bleiben und der Schlafraum und das Esszimmer waren sehr voll. Trotzdem gab es keinen Streit. Wir wussten alle, dass wir lieb zueinander sein mussten. In all dem Elend hatte sich so etwas wie Solidarität und gegenseitige Verantwortung entwickelt.
    Leni war schon sehr krank und bewegte sich nicht mehr aus dem Bett. Aber immer waren einige Kinder in ihrer Nähe, redeten mit ihr und versuchten, sie aufzumuntern. Leni war ein süßes Mädchen, das sich nie beklagte und alles, was sie sagte, mit einem freundlichen Lächeln vorbrachte. Es gab keinen Weg, sie gesund zu machen, so lieb wir sie auch hatten.
    Es gab nichts zu tun, deshalb hingen die meisten nur so herum oder lagen auf ihren Betten. Wir langweilten uns sehr. Als ich mich im Schlafraum umschaute, wurde mir klar, dass uns das nicht gut bekam. Wir mussten unseren Geist beschäftigen, um gesund zu bleiben. Also schlug ich Iesie vor, noch einmal eine Vorstellung für die Kinder zu versuchen. Iesie stimmte zu und ich erzählte den Kindern im Schlafraum von unserem Plan. Wie durch ein Wunder verschwand ihre Lethargie und allen fiel etwas ein. Ich plante einen rhythmischen Tanz, den ich in einer Gymnastikstunde in Amsterdam gelernt hatte. Weil wir keine Musik hatten, mussten ein paar Kinder den Donau-Walzer singen. In der kleinen Ecke neben der Tür zum Schlafraum begannen wir zu proben. Anfangs hörte es sich schrecklich an, aber nach ein paar falsch klingenden Versuchen kapierten sie es. Ich probte den Tanz, so gut ich konnte, während Iesie mit ein paar älteren Jungen Sketche einübte. Wir nahmen das alles sehr ernst, und vor allem hatten wir eine Beschäftigung, die uns die Langeweile vertrieb.
    Der Tag der Vorstellung kam. Wie beim letzten Mal schoben wir alle Tische im Esszimmer zu einer Bühne zusammen. Mit der Hilfe einiger Schwestern spannten wir ein Seil (keine Ahnung, woher sie das hatten) quer durch den Raum und wir hängten zwei Decken darüber. Diese dienten uns als Bühnenvorhang. Vier Jungen wurden dazu bestimmt, den Vorhang nach Bedarf zu öffnen und zu schließen. Jeder Stuhl wurde zu unserem improvisierten Theater gebracht, und als der Vorhang aufging, traute ich meinen Augen nicht. In der ersten Reihe saßen die Lagerälteste, Frau Stana, und vier Aufseherinnen, um sich unsere Aufführung anzusehen. Ich flüsterte den Schauspielern zu, sie sollten ihr Bestes geben, damit wir Schwester Luba keine Schande machten. Dann war ich dran. Während die Kinder sangen »Die Donau so blau, so blau, so blau«, tanzte ich den Tanz, wie ich es so oft in Amsterdam getan hatte.
    Unsere Vorstellung dauerte eine Stunde und war ein großer Erfolg. Natürlich waren wir manchmal ungeschickt, natürlich hatten wir weder Bühnenbilder noch Kostüme, aber das Publikum war nachsichtig und applaudierte an den richtigen Stellen. Als sich das Ganze dem Ende näherte, verließen die Lagerälteste und die Aufseherinnen den Raum. Schwester Luba begleitete sie zur Tür und stieß einen erleichterten Seufzer aus, als sie draußen waren. Sie verlor keine Zeit und sagte uns, wie stolz sie auf uns sei, und wir konnten sehen, wie glücklich sie war, dass alles geklappt hatte.
    Der Erfolg der Aufführung führte dazu, dass das Kinderhaus ins Bewusstsein der Aufseherinnen gerückt war. Ein paar Tage

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