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Wir Kinder von Bergen-Belsen

Wir Kinder von Bergen-Belsen

Titel: Wir Kinder von Bergen-Belsen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hetty E. Verolme
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an meinen Mund.
    Das kalte Wasser half mir beim Schlucken, aber ich war erleichtert, als sie meinen Kopf zurück aufs Kissen sinken ließ. Mit geschlossenen Augen konnte ich hören, wie der Arzt zu Max und allen anderen kranken Kindern im Schlafraum ging. An diesem und den beiden folgenden Abenden bekamen alle erkrankten Kinder einen Löffel voll Traubenzucker, als Energiespender in ihrem Kampf gegen die furchtbare Krankheit.
    Ich hatte keine Ahnung, wie viele Tage inzwischen vergangen waren, aber eines Morgens wachte ich auf und spürte, dass das Fieber vorbei war. Langsam hob ich den rechten Arm und entdeckte nun auch die verräterischen roten Typhusflecken. Sie waren auch auf meinem linken Arm. Ich schaute zu Max hinüber und fragte ihn, wie es ihm ging.
    »Ich habe immer noch ein bisschen Kopfschmerzen«, sagte er. »Aber es ist viel besser als vorher.«
    Vom Bett unter ihm sah mich Robbie mit fiebrigen Augen an.
    »Bring Robbie ein bisschen Wasser, dann komm herauf auf mein Bett und hole Aspirin für Max und Robbie aus meinem Regal«, sagte ich zu einem Kind, das mir einen Becher Wasser hinhielt.
    Die Tabletten wurden gefunden, und als ich beruhigt war, weil jemand sich um Robbie und Max kümmerte, drehte ich mich mit dem Gesicht zum Fenster und fiel in einen tiefen, heilsamen Schlaf.
    Ich muss den ganzen Tag geschlafen haben, obwohl ständig Geschrei von draußen hereindrang. Sogar im Halbschlaf hatte ich gehört, dass das Wasser wieder einmal abgedreht worden war und die Frauen draußen schrien, ausgedörrt vor Durst. Doch nichts konnte mich wirklich wecken. Das geschah erst, als ich eine leise Stimme hörte, die meinen Namen rief. Ich öffnete die
    Augen und sah Judie und ihre Schwester Mickie, die zu mir heraufschauten.
    »Geht es dir jetzt ein bisschen besser?«, fragte Judie.
    »Ja, Judie, ein kleines bisschen.«
    Beide lächelten glücklich, als sie das hörten.
    »Judie«, fuhr ich fort, »kannst du mir einen Becher heißes Wasser bringen? Ich brauche dringend eine Tasse Tee.«
    Judie und Mickie liefen zum Esszimmer, wo, wie ich annahm, die Hexe bestimmt einen Topf mit Wasser auf dem Ofen haben würde. Wieder döste ich ein, sehr lange für mein Gefühl, bis Judie und Mickie zurückkamen. Mühsam stützte ich mich auf die Ellenbogen. Das war sehr anstrengend, und mir wurde bewusst, dass ich zum ersten Mal, seit ich krank geworden war, den Kopf hob.
    Judie stellte den Becher mit heißem Wasser auf meine Matratze. Ich bat sie, die kleine Teedose aus meinem Regal zu nehmen und zu öffnen, denn dazu fehlte mir die Kraft. Judie tat es, nahm ein paar Teeblätter heraus und ließ sie in den Becher mit heißem Wasser fallen. Langsam hob ich den Tee an den Mund und nahm einen winzigen Schluck. Es war ein wunderbares Gefühl, als der Tee durch meine Kehle lief. Es war mein erstes heißes Getränk seit vielen Tagen.
    Max hatte mich von seinem Bett gegenüber beobachtet, jetzt fragte er mit schwacher Stimme: »Was trinkst du da, Hetty?«
    »Ein bisschen Tee«, antwortete ich. »Willst du auch welchen?«
    »Ja«, sagte Max.
    Ich nahm noch ein paar Schlucke, dann gab ich Judie den Becher, damit sie ihn zu Max brachte.
    Der kleine Robbie im Bett unter Max schaute sehnsüchtig zu mir herauf.
    »Möchtest du auch ein bisschen Tee, Robbie?«, fragte ich.
    Er nickte, deshalb sagte ich zu Max, er solle ein bisschen für ihn übrig lassen. Max beschwerte sich, er wollte mehr Tee.
    »Gut«, sagte ich, »gib Robbie ein bisschen, wir können noch welchen machen.«
    Deshalb holten Judie und Mickie, als Robbie den Rest Tee ausgetrunken hatte, noch einmal heißes Wasser. Ich sank völlig erschöpft auf mein Kissen zurück. Die Teeparty hatte mein bisschen Energie verbraucht.
    Zum ersten Mal bekam ich wieder mit, was sich um mich herum abspielte. Ich schaute aus dem Fenster und sah eine Gruppe Häftlinge, die einen Karren voller Leichen in Richtung des Krematoriums schoben. Draußen schien es eiskalt zu sein. Der SS-Aufseher trug eine weiße Binde um seinen linken Arm. Er war dick angezogen gegen die Kälte und hatte den Kragen aufgestellt, um seine Ohren zu schützen. Die Gefangenen sahen schrecklich aus. Sie hatten bei ihrer grausamen Arbeit lediglich die gestreiften Baumwollpyjamas an und trugen nur noch ihre Haut über den Knochen. Ihre Bewegungen blieben langsam, aber zu meinem Erstaunen benahm sich der SS-Mann gleichgültig und trieb sie nicht zur Eile an. Sie waren ohnehin zu schwach, um den Karren schneller zu schieben, und

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