Wir Kinder von Bergen-Belsen
ich zu Schwester Luba, ich wolle nicht gehen, ich hätte nicht genügend Kraft. Sie betrachtete den Saal mit den vielen kranken Kindern und beschloss, den Fluchtplan zu ignorieren. Sie küsste mich auf die Wange und wünschte mir eine gute Nacht.
Als sie gegangen war, wollte Max wissen, was wir geflüstert hatten. Ich sagte: »Nichts, wirklich.« Er glaubte mir nicht, hörte aber auf, weitere Fragen zu stellen.
»Ich glaube, ich stehe morgen auf«, sagte er.
»Bist du sicher, dass du schon so weit bist?«, fragte ich.
»Ich werde es versuchen. Ich werde einen Stock benutzen, so wie Iesie.«
Schwester Mala sagte, wir sollten still sein und schlafen, und machte das Licht aus. Aber ich konnte nicht schlafen. Die Nacht war nicht friedlich. In der Ferne waren das Rattern von Maschinengewehren zu hören und wilde Schreie. Schwester Mala löschte sogar die Kerze, die sie sonst brennen ließ, um nach einem kranken Kind zu schauen, wenn es nötig war. Sie wollte keine Aufmerksamkeit auf uns ziehen, solange geschossen wurde. Durch das Fenster war nichts zu sehen, es war stockdunkel. Ich hatte solche Angst, dass ich die Decke über den Kopf zog, als könnte ich damit alles Schlimme von mir fern halten.
Als ich durch die Geräusche der anderen Kinder aufwachte, stellte ich voller Erleichterung fest, das wieder Tag war. Max hatte seinen Plan, das Bett zu verlassen, tatsächlich verwirklicht und unterhielt sich gerade mit Leni. Als er sah, dass ich aufgewacht war, schlurfte er zu mir herüber, wobei er sich an den Pritschen festhielt, um nicht zu fallen. Er setzte sich unten auf Robbies Bett und schaute zu mir herauf.
»Wie geht es dir heute?«, fragte er.
»Ich bin noch nicht kräftig genug, um aufzustehen«, antwortete ich.
»Vielleicht schaffst du es morgen«, sagte Max optimistisch.
Iesie kam ebenfalls herüber und fragte, wie es mir gehe. »Hast du gehört?«, fragte er.
»Was?«
»Das Schießen heute Nacht«, fuhr Iesie fort. »Das waren die ungarischen Wachleute. Sie haben hunderte von Leuten erschossen, weil die über den Zaun wollten.«
»Wie schrecklich. Wurde deswegen so geschrien?«
»Ja«, sagte er.
Die Nachricht erschütterte uns.
»Warum haben die Gefangenen das getan, wo doch die Engländer so nah sind?«, fragte ich.
»Ja, warum?«, sagte Iesie. »Sie müssen im letzten Moment den Verstand verloren haben.«
Max stand auf und bat Iesie, mit ihm ins Esszimmer zu gehen, um nachzuschauen, was dort los war. Robbie wollte ebenfalls aufstehen, deshalb rief ich Judie und Phoebe, die in der Nähe waren, und bat sie, Robbie warm anzuziehen. Wie dünn er aussah, als er unter der Decke hervorkroch. Seine Kleider waren ihm zu groß, aber ich war froh, ihn auf den Beinen zu sehen. Judie nahm Robbie mit auf einen Spaziergang.
Als sie hinausgegangen waren, kam der kleine Jiddele schüchtern zu mir herüber. Der Dreijährige war vor ein paar Wochen mit einer polnischen und rumänischen Gruppe in unsere Baracke gekommen, alles gut genährte und gesunde Kinder. Ich konnte mich mit Jiddele nicht unterhalten, verstand seine Sprache nicht, aber er hatte sich schon an mich gehängt, noch bevor ich krank geworden war.
»Hallo, Jiddele«, sagte ich. »Schön, dich zu sehen. Wie geht es dir, Schätzchen?«
Jiddele schaute mich mit großen Augen an. Ich hatte keine Ahnung, ob er mich verstand. Entweder genoss er meine Gesellschaft oder er fühlte sich sehr einsam, er blieb jedenfalls neben meinem Bett. Nach einer Weile bat ich Phoebe, ein polnisches Mädchen zu holen, die mit ihm sprechen solle. Das polnische Mädchen kam, und ich bedeutete ihr mit den Händen, was ich von ihr wollte. Sie beugte sich zu dem Jungen und sprach Polnisch, aber er schaute mich an, genau wie vorher, und sagte kein Wort. Nach einer Weile gab das polnische Mädchen auf. Sie schaute zu mir hoch und zuckte mit den Schultern, als wollte sie sagen: »Ich kann's auch nicht ändern«, und ging.
Der Lagertelegraph informierte uns, dass die meisten SS-Männer das Lager um Mitternacht verlassen hatten. Frau Stana, die Lagerälteste, und viele Prominente und Kapos waren mit ihnen gegangen.
Es war der 15. April, der Geburtstag meiner Mutter, und meine Gedanken wanderten zu ihr. Wo war sie jetzt? Ich betete, dass es ihr gut ging.
Der Schlafraum war sehr voll. Vielen der kranken Kinder ging es besser, sie erholten sich vom Typhus, aber die meisten waren noch nicht kräftig genug, um hinauszugehen. Sie unterhielten sich miteinander. Es herrschte eine
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