Wir Kinder von Bergen-Belsen
kleinen zu größeren. Ich gab jeden Versuch auf, sie zu töten, und schüttelte sie einfach auf den Boden, wo sie in alle Richtungen davonliefen. Ein paar Mädchen und ich versuchten, sie zu zertreten. Natürlich war es ein Fehler, sie auf den Boden zu schütteln, aber obwohl ich im Lager schon viele Läuse gesehen hatte, ekelte es mich vor der Menge in Bellas Haaren. Ich sagte ihr, ich könne es nicht tun. Bella, die ein sehr ungezwungenes, umgängliches Mädchen war, zuckte mit den Schultern, um mir zu zeigen, dass sie nicht gekränkt war.
In diesem Moment kam Bram, Bellas Bruder, in die Baracke, was eine willkommene Abwechslung war. Bella stand von ihrem Stuhl auf und holte das Stück Brot, das Leni morgens nicht gegessen hatte. Sie hatte es für Bram aufgehoben. Die beiden Geschwister standen sich sehr nahe und waren immer für einander da, wenn einer den anderen brauchte.
Ich unterbrach mein Friseurgeschäft und suchte Schwester Hermina. Sie war im Esszimmer und unterhielt sich mit Schwester Hella, die sich langsam von Raus Schlägen erholte. Ihre Augen waren nicht mehr so verschwollen und sie brachte sogar ein Lächeln für mich zustande. Ich erzählte Schwester Hermina von Bellas Haaren und den Läusen, von denen wohl die meisten von uns befallen worden waren, und drängte darauf, dass etwas getan werden müsse. Schwester Hermina sagte, sie würde mit Schwester Luba sprechen. Sie hielt Wort, denn ein paar Tage später kamen vier große Behälter mit einer matschigen, gelblichen Salbe, und wir wurden angewiesen, unsere Haare über Nacht damit einzuschmieren.
Es war eine ekelhafte, aber notwendige Prozedur. Alle schmierten sich das matschige Zeug auf den Kopf, außer denjenigen, die schon sehr krank waren. Jackie war einer der Ersten, der Typhus bekommen hatte, aber in den Tagen danach waren noch einige andere Kinder im Bett geblieben. Wir schmierten das Zeug auch in die Scharniere der Betten, um die Wanzen zu töten, die uns nachts nicht in Ruhe ließen. Die Jungen verzogen das Gesicht, wenn sie sich das Zeug auf die Haare schmierten. Die Mädchen sahen angeekelt aus und banden sich die Haare hoch, um nichts von der widerlichen Salbe an Kinn oder Hals zu bekommen. Die älteren Kinder halfen den Kleineren, bis wir alle wie gelbe Zirkusclowns aussahen. An diesem Abend gingen wir später als üblich ins Bett, doch dann wurde es endlich ruhig und wir schliefen ein.
1o. Kapitel
An einem Abend in den letzten Märztagen, das Licht sollte gerade ausgemacht werden, stieg Schwester Mala auf einen Stuhl, damit sie über die Pritschen hinausragte, und forderte uns auf, still zu sein. Dann erzählte sie uns, dass die britische Armee näher komme, sie sei nur noch hundert Kilometer von Bergen-Belsen entfernt. Wir konnten es kaum glauben. Jemand fragte, woher sie das wisse. Sie erzählte von einem heimlichen Radio im Männerlager, daher stamme die Information. Du lieber Gott! Sollte es wirklich wahr sein? Würden wir wirklich bald frei sein? Alle auf einmal begannen wir zu sprechen, aber Schwester Mala warnte uns, still zu sein, denn die SS würde allmählich sehr nervös.
In den letzten Wochen hatte es viele Warnungen vor Luftangriffen gegeben, denn immer wieder waren englische Aufklärungsflugzeuge über das Lager geflogen. Die SS hatte strenge Anweisungen gegeben, dass nachts nirgendwo ein Licht brennen dürfe, und uns wurde gedroht, dass jeder, der nicht gehorchte, zur Strafe erschossen würde. So verhängten wir jeden Abend unsere Fenster mit ein paar Decken, damit Schwester Helen eine Kerze anzünden konnte. Sie brauchte Licht, denn etliche Kinder hatten inzwischen Typhus und waren ernsthaft krank.
Die SS begann nachts durch das Lager zu patrouillieren. Die Luftaufklärung nahm zu, je näher die Front rückte. Manchmal konnten wir das Donnern von Geschützen hören und in unseren Ohren klang es wie Musik. Jeden Abend berichtete uns Schwes ter Mala, wie nah die Truppen der Befreier schon gekommen waren.
»Kinder«, sagte sie zum Beispiel, »es sind nur noch siebzig Kilometer.« Und am folgenden Abend: »Sechzig Kilometer.«
Für uns konnte es nicht schnell genug gehen. Die Bedingungen im Lager wurden von Tag zu Tag schlimmer. Essen war so knapp, dass die Gefangenen nach jedem grünen Blatt an den Bäumen oder nach Grashalmen suchten.
Die Menschen fielen da, wo sie standen, tot um. Niemand trug die Leichen weg.
Es war der 30. März 1945. Schwester Luba war erschöpft und Schwester Hermina übernahm die
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