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Wir lassen sie verhungern

Wir lassen sie verhungern

Titel: Wir lassen sie verhungern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ziegler Jean
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die Vorarbeiter der Großgrundbesitzer, laufen durch die Menge der vom Hunger ausgezehrten Männer. Sie suchen sich unter ihnen diejenigen aus, die eingestellt werden, für einen Tag oder eine Woche, um einen Bewässerungskanal auszuheben, einen Zaun aufzustellen oder irgendeine andere Arbeit auf der Fazenda zu verrichten.
    Bevor der Mann im Morgengrauen seine baufällige Behausung verlässt, um sich auf dem Platz zu verkaufen, füllt ihm seine Frau das Essgeschirr: ein wenig Reis, schwarze Bohnen, Kartoffeln. Wenn ihr Mann das Glück hat, eingestellt zu werden, muss er arbeiten wie ein Ochse ( boia auf Brasilianisch). Er wird seine Mahlzeit kalt ( frio ) verzehren. Wird er abgelehnt, bleibt er, wo er ist, weil er sich schämt heimzugehen. Unter dem großen Mammutbaum wird er warten, warten, warten …
    Ein Boia Frio in Ceará verdient im Durchschnitt zwei Real am Tag, etwas weniger als einen Euro. 2003 hat die erste Regierung von Luiz Inácio Lula da Silva den täglichen Mindestlohn für Landarbeiter auf 22 Real festgesetzt. Doch in Ceará halten sich nur wenige Fazendeiros an das brasilianische Gesetz.
    Jahrzehntelang residierte in Crateùs ein außergewöhnlicher Bischof: Dom Antônio Batista Fragoso.
    Als ich Crateùs in den achtziger Jahren zum ersten Mal besuchte, war es fast ein Geheimtreffen. Wie Dom Hélder Câmara, Erzbischof von Olinda und Recife, in Pernambuco, war auch Dom Fragoso ein entschiedener Vertreter der Befreiungstheologie. In seinen Predigten und seinem praktischen sozialen Handeln verteidigte er die Boia Frio . Die Offiziere des in Crateùs stationierten Ersten Infanterieregiments der dritten Armee und die Großgrundbesitzer des Umlands hassten ihn. Mehrere Attentate waren schon auf ihn verübt worden. Zwei Mal hatten die Pistoleros der Großgrundbesitzer ihr Ziel nur knapp verfehlt.
    Bernard Bavaud und Claude Pillonel, zwei mit Dom Fragoso in Verbindung stehende Schweizer Priester, hatten meinen Besuch vorbereitet. Und da stand ich bei Einbruch der Nacht vor dem Haus Rua Firmino Rosa n° 1064, einem bescheidenen Gebäude, das als Bischofssitz diente. 59 Fragoso war ein kleiner, unnachgiebiger Mann aus dem Nordosten, mit matter Haut und strahlendem Lächeln. Er begrüßte uns in perfektem Französisch. Seine schlichte Herzlichkeit ließ mich sogleich an den Bischof aus den Elenden von Victor Hugo denken, den »Monseigneur Bienvenu« der Armen von Digne.
    Am nächsten Morgen brachte mich Dom Fragoso zu einem unbebauten Gelände, etwa drei Kilometer hinter den letzten Hütten der Stadt. »Das Totenfeld der anonymen Kinder«, sagte er.
    Bei näherem Hinsehen entdeckte ich Dutzende Reihen kleiner weißgestrichener Holzkreuze. Der Bischof erklärte, dass nach brasilianischem Recht jede Geburt in der Prefeitura , dem Rathaus, eingetragen werden müsse. Aber die Eintragung sei kostenpflichtig, und die Boia Frio hätten das nötige Geld nicht. Jedenfalls stürben viele dieser Kinder kurz nach der Geburt an fötaler Unterernährung, und weil die Mütter, selbst unterernährt, sie nicht stillen könnten. Mit einem Wort, so Dom Fragoso: »Sie kommen auf die Welt, um zu sterben.«
    Da die Kinder der Boia Frio im Rathaus nicht eingetragen waren, existierten sie für das Standesamt nicht. Daher konnte es keinen Totenschein ausstellen. Ohne ein solches Dokument durfte die Kirche die Kinder nicht auf dem Friedhof beerdigen …
    Dom Fragoso hatte jedoch eine Gesetzeslücke gefunden. Mit dem Kirchgeld des Bistums hatte er das unbebaute Gelände gekauft. Dort begrub er nun jede Woche die »Kinder, die auf die Welt gekommen waren, um zu sterben«.
    An diesem Morgen begleitete mich ein Freund von Bernard Bavaud und Claude Pillonel: Cicero, ein Bauer, der auf einem winzigen Stück Land mitten im Sertão lebte.
    Er war ein großer Mann, ausgemergelt wie die Landschaft rundum, wie seine Frau und die zahlreichen Kinder, die sich in seiner Hütte aus Lehm und Astwerk verkrochen, in der wir sie am folgenden Tag kennenlernten. Cicero zeigte uns sein Posseiro- Land – kaum ein Ar groß –, wo er einige Maispflanzen angebaut hatte und ein Schwein hielt. Er berichtete uns, dass die Vaqueros des Großgrundbesitzers ihre Rinder immer wieder zum Weiden in seine Umzäunung trieben, wo sie seinen kargen Garten verwüsteten. Er sagte uns auch, dass er Analphabet sei, was ihn nicht daran hindere, Radio Havanna zu hören, und dass er von der Revolution träume …
    Die Sonne stand schon hoch am Himmel. Erica und ich verharrten

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