Wir lassen sie verhungern
2006 untersucht die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) die Produktivität des Anbaus von schwarzen Bohnen im Nordosten Brasiliens. Dabei vergleicht sie die Produktivität eines bewässerten Hektars mit der eines nicht bewässerten Hektars. Ihre Schlussfolgerung gilt genauso für Afrika. Sie ist unwiderleglich: »Regenabhängige Ernten ( rainfed crops ) liefern 50 Kilogramm pro Hektar. Dagegen ergeben die Ernten auf bewässertem Boden 1500 Kilogramm pro Hektar.« 62
Afrika, aber auch Südasien sowie Zentralamerika und das Andenhochland sind reich an leistungsfähigen und sehr alten Bauernkulturen. Diese Landwirte besitzen traditionelle Kenntnisse, vor allem auf dem Gebiet der Wetterkunde, die uns Bewunderung abverlangen. Sie brauchen nur einen Blick auf den Himmel zu werfen, um zu wissen, ob ein dem Wachstum förderlicher Regen zu erwarten ist oder ein Wolkenbruch, der die empfindlichen Schösslinge fortschwemmen wird.
Aber, es sei noch einmal gesagt, ihre Ausrüstung ist dürftig: Ihr wichtigstes Gerät bleibt die kurzstielige Hacke. Das Bild der Frau und des jungen Mädchens, die tief gebeugt mit dieser kurzstieligen Hacke den Boden bearbeiten, prägt das Bild der bäuerlichen Landschaft von Malawi bis Mali.
Es fehlt an Traktoren. Trotz der Bemühungen einiger Staaten, wie beispielsweise Senegals, Traktoren im eigenen Land zu produzieren oder sie in großer Zahl aus dem Iran oder Indien einzuführen, gibt es immer noch nicht mehr als 85000 Traktoren in ganz Schwarzafrika!
An Zugtieren gibt es kaum mehr als 250000. Dass solche Tiere so selten sind, erklärt auch, warum kaum natürlicher Dünger zur Verfügung steht.
Selektioniertes und ergiebiges Saatgut, Pestizide gegen gefräßige Heuschrecken und Würmer, mineralischer Dünger, Bewässerungsanlagen – all das fehlt hier! Daher bleibt die Produktivität sehr niedrig: 600 bis 700 Kilogramm Hirse pro Hektar im Sahel bei normalen Verhältnissen im Vergleich zu 10 Tonnen (10000 Kilogramm!) Getreide pro Hektar in den Ebenen Europas.
Allerdings nur, wenn das Wetter im Sahel »normal« ist. Das heißt, wenn es, wie erwartet, im Juni Regen gibt; wenn er den Boden durchfeuchtet, ihn für die Aufnahme des Saatguts vorbereitet; wenn im September der große Regen einsetzt, ergiebige, regelmäßige, konstante Regenfälle, die mindesten drei Wochen andauern; wenn er die jungen Hirsepflanzen reichlich bewässert, sodass sie bis zur Reife wachsen können.
Leider kommt es in immer kürzeren Zeitabständen zu Klimakatastrophen. Die kleinen Niederschläge kommen nicht, der Boden wird hart wie Beton, das Saatgut bleibt auf der rissigen Erdoberfläche liegen. Dagegen präsentiert sich der große Regen häufig sintflutartig, sodass er die jungen Pflanzen, statt sie drei Monate lang gleichmäßig zu bewässern, »wegputzt«, wie die Bambara sagen, das heißt, aus dem Boden reißt und fortschwemmt.
Die Aufbewahrung der Ernten ist ein anderes (gewichtiges) Problem. Von einer Ernte muss die bäuerliche Familie im Prinzip bis zur nächsten leben können. Doch laut FAO werden in den Ländern des Südens pro Jahr mehr als 25 Prozent der Ernten – alle Erzeugnisse zusammengenommen – durch Klimaeinflüsse, Insekten oder Ratten vernichtet. Silos sind, wie gesagt, selten in Afrika.
Mamadou Cissokho ist eine respektheischende Erscheinung. Der Sechzigjährige mit der unvermeidlichen grauen Wollmütze auf dem mächtigen Schädel, der raschen Intelligenz, der gern und dröhnend lacht, ist sicherlich der einflussreichste Bauernführer in ganz Westafrika.
Der Ex-Lehrer hat schon in ganz jungen Jahren seinen Beruf an den Nagel gehängt. 1974 ist er in sein Heimatdorf Bamba Thialène, 400 Kilometer östlich von Dakar, zurückgekehrt und Bauer geworden. Seither ernährt er seine große Familie mit einer Farm mittlerer Größe, auf der er Lebensmittelanbau betreibt.
Ende der siebziger Jahre veranlasste Cissokho die Bauern der umliegenden Dörfer zu einem Zusammenschluss und gründete mit ihnen eine erste Erzeugergewerkschaft. Dann entstanden Saatgutgenossenschaften. Zunächst in der engeren Region, dann im ganzen Senegal, schließlich auch in den Nachbarländern.
Bald darauf bildete sich das Netzwerk westafrikanischer Bauern und Erzeuger landwirtschaftlicher Produkte (ROPPA, Le Réseau des organisations paysannes et des producteurs d’Afrique de l’Ouest). Das ROPPA ist heute die mächtigste regionale Bauernorganisation des ganzen Kontinents. Mamadou Cissokho leitet sie.
Im Jahr
Weitere Kostenlose Bücher