Wir Middle-Ager -Unsere besten Jahre
prähistorischen Vorfahren auf indirektem Weg festzustellen. Sie beobachten zum Beispiel heutige Affenarten und versuchen, irgendein messbares Merkmal zu entdecken, das Rückschlüsse auf die Lebensdauer der Art zulässt. Man will herausfinden, ob eine Affenart mit großem Gehirn, großem Körper und großem Gebiss länger lebt als andere Arten. Wie man festgestellt hat, korrespondiert die Körpergröße bei Affen tatsächlich mit der Lebensdauer, und daraus entstand die Geschichte vom kleinen, kurzlebigen Australopithecus, der sich über die letzten fünf Millionen Jahre hinweg in den größeren, langlebigen Homo sapiens verwandelt hat. Wie überzeugend man diese Methode findet, hängt davon ab, in welchem Ausmaß man bereit ist, den Zusammenhang zwischen Körpergewicht und Lebensdauer bei heute lebenden Primaten als Beleg dafür zu betrachten, dass größere Hominiden notwendigerweise immer länger leben als kleine. Diese indirekte Methode der Altersermittlung hat noch den anderen Nachteil, dass sie so gut wie wertlos wird, je mehr wir uns der Gegenwart nähern. Die Evolution hat den Menschen in den letzten 250 000 Jahren so weit von Schimpansen und Gorillas weggeführt, dass sie zum Vergleich eigentlich nicht mehr recht taugen.
Ein anderer Ansatz ist, die wenigen Jäger-und-Sammler-Gemeinschaften zu erforschen, die es heute noch gibt. Man hat es hier allerdings mit einer echt monströsen Annahme zu tun – und sie findet sich immer wieder bei Anthropologen –, dass nämlich heutige Jäger und Sammler so leben, wie man sich das bei denMenschen vor über 10 000 Jahren vorzustellen hat. Aber muss man sich nicht fragen, warum diese vermeintlich typischen Exemplare nicht dasselbe wie ihre restlichen Artgenossen getan haben und auf die Landwirtschaft umgeschwenkt sind? Darauf könnte man noch entgegnen, dass die meisten modernen Jäger und Sammler in Regionen leben, in denen die Landwirtschaft erst in jüngerer Zeit Einzug gehalten hat – vor knapp 2000 Jahren etwa im südlichen Afrika –, oder eben gar nicht wie im Amazonasbecken, in der Arktis und in Neuguinea. Und mag man sie auch als repräsentative Vertreter der menschlichen Spezies ansehen, so hatten sie doch das Pech, zufälligerweise an eher unrepräsentativen Orten zu leben.
Selbst wenn man all diese Einwände beiseite schiebt, lässt sich anhand moderner Jäger-und-Sammler-Gemeinschaften keine allgemeingültige Aussage zum Erreichen des mittleren Alters treffen. Denn es ist einfach so, dass in manchen Stämmen die Erwachsenen vierzig Jahre oder älter werden, in anderen hingegen nicht. Bei den Jägern und Sammlern rund um den Erdball variieren Lebensdauer und Todesursachen gewaltig. Sie sterben zudem oft nicht durch Krankheit, Hunger oder bei der Jagd (die häufigsten Ursachen bei Tieren), sondern durch gewalttätiges Verhalten anderer Menschen. Analog zu dieser Vielfältigkeit bei heutigen Jägern und Sammlern haben die meisten Anthropologen sich längst von der Idee verabschiedet, alle prä-landwirtschaftlichen Menschen hätten das gleiche, »naturgemäße« Leben geführt. Ganz im Gegenteil: Viele betonen, dass einer der Gründe für den »Erfolg« der Menschenrasse die unglaubliche Fähigkeit ist, ihre Physiologie und ihre Lebensformen an immer neue und ganz unterschiedliche Umgebungen anzupassen. So gesehen, würde es tatsächlich verblüffen, wenn ein Leben bis ins mittlere Alter hinein bei allen Gemeinschaften der Normalfall gewesen wäre.
Die deutlichsten Hinweise auf die Lebensdauer der prä-ackerbaulichenMenschen finden sich in archäologischen Funden aus dieser Zeit, wenngleich es – wie man ja weiß – schwierig ist, anhand der wenigen, bruchstückhaften Knochenfunden, die man irgendwo ausbuddelt, das Alter längst verstorbener Menschen auch nur annähernd zu schätzen. So etwas ist schon bei Erwachsenen, die erst vor kurzem gestorben sind, gar nicht so einfach. Veränderungen am Skelett lassen ein Stück weit Rückschlüsse zu – etwa an der Naht zwischen den beiden Beckenhälften oder in der nur mikroskopisch feststellbaren Architektur der Knochen. Die Becken-Methode kann sich bis auf vier Jahre dem tatsächlichen Alter nähern, ist aber jenseits der vierzig nicht mehr anwendbar, was insbesondere im Hinblick auf das Middle-Age recht frustrierend ist. Die Knochen-Methode funktioniert bei Älteren, hat aber eine Ungenauigkeit von bis zu zwölf Jahren.
Gerichtsmediziner haben kaum Schwierigkeiten, bei toten Kindern das Alter zu
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