Wir Middle-Ager -Unsere besten Jahre
Nutzpflanzen ein karges Dasein fristeten, und den Stadtbewohnern, die im Dreck ihrer notdürftig errichteten, kanalisationslosen Siedlungen herumstapften.Man kann also davon ausgehen, dass die Lebenserwartung in der Zeit zwischen 8000 v. Chr. und 500 n. Chr. kaum größer war als im Mittelalter. Ich gebe zu, dass das ein wenig verwirrend klingen mag: Schließlich behaupte ich hier, das Middle-Age habe sich entwickelt, weil die natürliche Selektion irgendwann früher bei einer großen Anzahl von Menschen mittleren Alters zum Tragen kam. Und jetzt haben wir schon 10 000 Jahre in die Vergangenheit geschaut, ohne dass es auch nur den geringsten Beleg für eine derart große Anzahl gibt!
Aber vielleicht sieht die Sache anders aus, wenn wir noch weiter zurückgehen als 10 000 Jahre. Zu diesem Zeitpunkt nahm das Leben der Menschen eine ganz neue, an Radikalität nicht zu überbietende Richtung. Die Entstehung von Ackerbau und Viehzucht war ein über die Maßen erstaunliches Phänomen. Nicht nur veränderte sich für alle Zeiten, welche Nahrung wir zu uns nahmen, die Menschen waren auch auf einmal bereit, sich niederzulassen und an ein und demselben Ort zu bleiben, nämlich in unmittelbarer Nähe ihrer Felder und Herden, dort, wo sie ihre Vorräte lagern konnten. Durch Ackerbau und Viehzucht gewann der Besitz an Bedeutung – von Land, Werkzeugen, Erzeugnissen –, und damit entstand auch der Wunsch, diesen Besitz gegen andere zu verteidigen und ihn an Nachkommen weiterzugeben. Ackerbau und Viehzucht hatten also einen gewaltigen und gar nicht zu überschätzenden Einfluss auf die menschliche Existenz. Manche Anthropologen behaupten, ganze Populationen hätten sich innerhalb eines einzigen Jahrtausends vom Jagen und Sammeln hin zu Ackerbau und Viehzucht entwickelt, woraufhin in rascher Folge das Städtewesen, die Schrift und die Regierungsformen entstanden seien. Und so verrückt das klingen mag, gibt es archäologische Funde, die belegen, dass diese Entwicklung hin zu Landwirtschaft und Sesshaftigkeit unabhängig voneinander an sieben bis zehn verschiedenen Orten auf der Welt – mehr oderweniger gleichzeitig – stattgefunden hat, und zwar vermutlich als Reaktion auf klimatische Veränderungen.
Ackerbau und Viehzucht kamen also quasi über Nacht und stellten alles komplett auf den Kopf. Deshalb unterscheiden sich die letzten 10 000 Jahre der Gattung Homo komplett von den zwei Millionen Jahren davor. Anders gesagt: 99,5% der gesamten Menschheitsgeschichte – also des Zeitraums, in dem unsere Vorfahren etwa gleich groß und gleich schlau waren wie wir – fand statt, bevor die Landwirtschaft Einzug hielt. Was für uns bedeutet, dass wir für ein Verständnis des Middle-Age und seiner evolutionären Entwicklung den Blick nach hinten richten müssen auf diese Zeit, bevor Ackerbau und »Geschichte« einsetzten – und eben der Großteil dieser Evolution stattfand.
Das Leben der prähistorischen Menschen stellen wir uns meist ziemlich entbehrungsreich vor, als »nasty, brutish and short« (Thomas Hobbes). Demnach waren die vorzeitlichen Jäger und Sammler extremen Belastungen ausgesetzt, sie litten ständig Hunger und wurden krank, und ihre kümmerlichen paar Lebensjahre hielten sie nur durch, indem sie ihre abgenutzten Zähne zusammenbissen. Wenn das stimmt und tatsächlich nur wenige Menschen es in den Bereich des mittleren Alters schafften, dann droht meiner Theorie vom aktiv entwickelten und vorteilhaften Middle-Age der sofortige Kollaps. Wie lange lebten unsere prähistorischen Jäger und Sammler also wirklich?
Und mit dem Wort »prähistorisch« haben wir auch schon den größten Stolperstein dieser Ausführungen erreicht. Als Biologe, der Geschichte und Archäologie heranzieht, um der Entwicklung des Middle-Age auf die Spur zu kommen, habe ich die volle Bedeutung des Wortes »prähistorisch« zu respektieren gelernt. Historie, also Geschichte, findet statt, wenn Menschen niederschreiben, was sie erlebt haben, und sobald wir derartige Niederschriften haben, haben wir auch Zugang zu den Menschen vergangenerZeiten, die uns erzählen, wie sie gelebt haben und wie lange sie gelebt haben. Vor dem Aufkommen der Landwirtschaft gibt es keine Geschichte, also keine schriftlichen Zeugnisse, deshalb ist die Beschäftigung damit, wie Menschen gelebt haben und wie lange sie gelebt haben, eine recht haarige Angelegenheit.
Da es keine schriftlichen Zeugnisse gibt, haben Forscher versucht, das Alter unserer
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