Wir Middle-Ager -Unsere besten Jahre
fehlende Abwasserbeseitigung trug ebenso wie die Verlangsamung der natürlichen Wasserläufe zum Zweck der Bewässerung zur Ausbreitung von Krankheiten bei. Auch heute noch sind die prominentesten Krankheiten diejenigen, die durch mangelnde Hygiene und hohe Bevölkerungsdichte entstehen, aber es ist eher unwahrscheinlich, dass die urzeitlichenJäger und Sammler im offenen Grasland ihnen zum Opfer gefallen wären – schließlich konnten sie ihren eigenen Schmutz einfach hinter sich lassen und weiterziehen.
Eine weitere Ursache für vermehrt auftretende Krankheiten war das Zusammenleben von Menschen und Tieren. Bevor Menschen anfingen, Tiere in Herden zu halten, beschränkte sich ihr Kontakt weitgehend auf die Jagd, wobei die größte Gefahr war, niedergetrampelt oder sogar gefressen zu werden. Viehzucht und Herdenhaltung hingegen sorgten dafür, dass Menschen und Tiere mit ihren diversen Körperfunktionen in engem, unablässigem Kontakt waren. Durch die Landwirtschaft kam es also bei Tier und Mensch auf einmal zu einem ungehinderten Austausch von Bakterien, Viren und Parasiten (man denke an Vogel- oder Schweinegrippe). Addiert man hierzu die zuvor verbuddelten Krankheitserreger, die jetzt durchs Umpflügen des Erdbodens in die Luft gewirbelt wurden, tief in die Lungen eindrangen oder sich in Wunden festsetzten, wollen einem Ackerbau und Viehzucht nicht mehr so recht als grandiose Neuerungen vorkommen.
Es ist bewiesen, dass sich auch heute noch die Bandbreite der Krankheiten verändert, wenn Menschen sich vom Jagen und Sammeln auf Ackerbau und Viehzucht verlegen. Bei den Turkana-Stämmen hat sich etwa eine gesteigerte Anfälligkeit für bakterielle Infektionen gezeigt, nachdem sie in den vergangenen Jahrzehnten diese Veränderung vorgenommen hatten. Auch an archäologischen Funden lassen sich diese veränderten Krankheitsvorkommen belegen. Es gibt Infektionskrankheiten wie die Staphylokokken-Osteitis, die an menschlichen Knochen Spuren hinterlassen, und anhand der Funde konnte im Zuge der Landwirtschaft ein vermehrtes Aufkommen nachgewiesen werden.
Wenn die Landwirtschaft also einen derart verheerenden Einfluss auf die menschliche Gesundheit hatte, drängt sich die Frage auf, warum sie in so kurzer Zeit die vorherrschende Lebensformwurde. Als Bauern arbeiteten die Menschen mehr, ohne dadurch auch mehr Nahrung zu erzeugen, außerdem ernährten sie sich einseitiger, lebten im Schmutz und starben jung – welchen Vorteil zog man denn aus all diesen furchtbaren Umständen? Einerseits näherten sich die Menschen durch die Landwirtschaft rasant der modernen menschlichen Existenz, sie waren aber andererseits nach wie vor der natürlichen Selektion in all ihrer Gnadenlosigkeit unterworfen. Und allen Nachteilen zum Trotz hat die Landwirtschaft auch entscheidende Vorteile. Zunächst ist viel weniger Land erforderlich als beim Jagen und Sammeln: Menschen können in kleinen Niederlassungen auf engem Raum zusammenleben – ohne die Landwirtschaft würde sich die Anzahl der Menschen weltweit vielleicht immer noch auf eine Million beschränken. Darüber hinaus sorgt in Zeiten guter Ernten eine hohe Kalorienversorgung dafür, dass die Menschen fruchtbar sind und sich erfolgreich fortpflanzen. Mit einem Wort: Die Landwirtschaft führt zu zahlreichen Nachkommen, und das ist nun mal, was bei der Evolution zählt. Dass die Individuen leiden und früher sterben, ist völlig zweitrangig.
In vielerlei Hinsicht können die letzten 10 000 Jahre der menschlichen Evolution also als ein Irrweg betrachtet werden – als Zeitraum, in dem wir uns von einer Lebensform abgewandt haben, die über Jahrmillionen unser Dasein geprägt hat. Um zu verstehen, wie und warum das mittlere Alter sich herausgebildet hat, müssen wir uns klarmachen, dass die letzten 10 000 Jahre tatsächlich so etwas wie eine Art Störung darstellen – ein kurzes Blinzeln des evolutionären Auges, in dem innerhalb des herrschenden prähistorischen Lebensplans des Menschen nur begrenzte Änderungen möglich waren. Über 99,5% des Zeitraums, den die Gattung Homo auf der Erde verbracht hat, gab es weder Sesshaftigkeit noch Landwirtschaft. Und es mangelt nicht an Funden, diedarauf hindeuten, dass über weite Strecken dieser 99,5% Menschen mittleren Alters ein wichtiger Bestandteil menschlicher Gemeinschaften waren. Was letzten Ende nichts anderes heißt, als dass die natürliche Selektion ein paar Millionen Jahre Zeit hatte, den Menschen mittleren Alters zu dem
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