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Wir Middle-Ager -Unsere besten Jahre

Wir Middle-Ager -Unsere besten Jahre

Titel: Wir Middle-Ager -Unsere besten Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Bainbridge
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Zeitpunkt hinaus und bleiben dabei eigentlich fruchtbar, wobei sie sich oft selbst »kastrieren«, indem sie bei ihrer mittlerweile unfruchtbaren Partnerin bleiben. Um die Dinge komplett durcheinanderzubringen, sterben Männer dann auch noch früher als Frauen, obwohl sie doch eigentlich noch bis ins hohe Alter Nachkommen zeugen könnten. Und zu alledem können Männer wie Frauen auch noch die vom evolutionären Standpunkt aus völlig unerklärliche Entscheidung treffen, überhaupt keinen Nachwuchs zu produzieren. Nichts dergleichen ist bei Schimpansen zu beobachten.
    Begibt man sich auf die Suche nach den Ursprüngen dieses ungewöhnlichen menschlichen Lebensplans, findet man leider so gut wie keine direkten Belege. Unsere nächsten lebenden Verwandten – also Schimpansen und Gorillas – unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Fortpflanzung und ihrer sozialen Organisation viel zu stark von uns. Und diejenigen, mit denen wir post-ackerbaulichenMenschen uns vergleichen könnten  – heutige Jäger und Sammler –, sind uns viel zu ähnlich. Rund um den Erdball hat sich die Entwicklung der menschlichen Lebensform mehr oder weniger gleich abgespielt, und dies selbst im Hinblick auf die  Dinge, die Anthropologen so gern unter die Lupe nehmen: die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern, die Organisation der Inzest-Vermeidung, die gesellschaftliche Bedeutung der Heirat und die Mechanismen der Frauenunterdrückung.
    Wenn wir wissen wollen, wie der menschliche Lebensplan entstanden ist, müssen wir den Blick woandershin werfen. Evolutionsbiologen haben in jüngerer Zeit damit begonnen, sich mit weiter entfernten Primaten zu beschäftigen und auf mathematischer Grundlage Simulationen menschlicher Gemeinschaften herzustellen. Und mit einem Mal wird das Bild vom Menschen schärfer. Man sieht, dass der menschliche Lebensplan zwei gravierende Neuerungen enthält: die Adoleszenz und das Middle-Age. Wie traurig ist es, dass diese beiden erstaunlichen Erfindungen des Menschen  – die Teenagerjahre und der mittlere Lebensabschnitt – meist eher negativ betrachtet oder bestenfalls als bloße Übergangsphasen zwischen anderen, »bedeutenderen« Lebensabschnitten abgetan werden. Soll man wirklich glauben, dass wir fast die Hälfte unseres Lebens in problematischen, ja nachteiligen Übergängen zubringen?
    Adoleszenz und Middle-Age sind allein jahreszahlmäßig miteinander verknüpft. Teenager haben in aller Regel Eltern mittleren Alters, und vermutlich ist es kein Zufall, dass Menschen dieser beiden Lebensphasen normalerweise eng zusammenleben. An anderer Stelle habe ich ausgeführt, dass der Mensch die Teenagerjahre  – zehn zusätzliche Jahre der Entwicklung  – hervorgebracht hat, um das riesige, extrem leistungsfähige Gehirn zu perfektionieren, das der Schlüssel zum Erfolg seiner Art ist. Dafür findet man unzählige Beweise: in Ausgrabungsfunden, auf derCouch des Psychiaters und in jedem Gehirnscanner. Aber die Geschichte hat noch eine zweite Seite, und diese komplementäre Entsprechung ist nichts anderes als das Middle-Age.
    Die Ausdehnung der menschlichen Entwicklung ins zweite Jahrzehnt hinein kann als Steigerung einer Tendenz betrachtet werden, die schon beim Kind angelegt ist. Kleinkinder brauchen mehr Pflege und Nahrung als jeder junge Affe; der Grund dafür ist, dass ihr Gehirn in hohem Maß Energie verbrennen und neue Gedanken oder Eindrücke verarbeiten muss. Die hohen Anforderungen, die das Gehirn an uns stellt, sind der Grund dafür, dass unser Leben einem eigenen Rhythmus folgt. Unser Körper ist eine investitions- und informationsintensive Wirtschaftsform  – alles ist darauf ausgerichtet, Wachstum, Reifung und Leistungsfähigkeit des großen, anspruchsvollen Gehirns zu ermöglichen. Das heißt, das menschliche Leben besteht zu weiten Teilen aus Investitionen – Erwachsene versorgen die in Entwicklung befindlichen Gehirne der Kinder ohne Unterlass mit Nachschub, einfach weil diese Gehirne für das spätere Leben so verflixt wichtig sind.
    Biologen nennen so etwas »elterliche Investition«, und Menschen sind die elterlichen Investoren schlechthin. Bei uns ist die Investition viel ausgedehnter, komplexer und umfassender als bei anderen Tierarten. Man versteht also auf einmal, warum der eine oder andere erschöpfte Middle-Ager jammert, das Elterndasein höre wohl nie auf. Wir sollten uns aber gleichzeitig klarmachen, dass wir ohne diese anspruchsvollen Kinder und Teenager die vierzig eben nicht

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