Wir Middle-Ager -Unsere besten Jahre
fortpflanzen. Unmengen von Kenntnissen, Fähigkeiten, Einstellungen und Absichten werden von Generation zu Generation weitergereicht – und diese Ansammlung von Informationen könnte man auch »Kultur« nennen. Und weil Menschen ihre Nahrung auf ziemlich ausgeklügelte Weise beschaffen, ihren Nachwuchs mittels sehr komplexer Strategien versorgen und dazu auf vielerei Art sozial interagieren, müssen junge Menschen ganz schön viel Kultur erlernen. Das angeborene Wissen, mit dem wir zur Welt kommen, reicht im Grunde, nun, zu so gut wie gar nichts, deshalb ist der Informationstransfer zwischen den Generationen lebensnotwendig. Kinder, die ohne Kontakt zu anderen Menschen aufwachsen, erlernen einfach nicht die kulturellen Elemente der menschlichen Existenz und haben deshalb im späteren Leben enorme Schwierigkeiten.
Auf den ersten Blick mag die Weitergabe auf nicht-genetischem Weg unsicher und also bedenklich erscheinen. Im Gegensatzzu den festgelegten Inhalten, die über die DNA-Codes zu den Nachkommen gelangen, scheint die Weitergabe einer Kultur auf einem bunt zusammengewürfelten Durcheinander aus mündlicher Anweisung und beispielhaftem Verhalten zu beruhen. Würde dieser Kulturtransfer auch nur bei einer einzigen Generation versagen – etwa durch eine Umweltkatastrophe oder aufgrund gesellschaftlicher Missstände –, hätte das irreparable Auswirkungen auf die Überlebens- und Entwicklungsfähigkeit aller nachfolgenden Generationen. Gene haben über Millionen Jahre Bestand, wohingegen Gedanken unglaublich schnell verlorengehen. Trotzdem ist die Unbeständigkeit der Informationen im Transfer von Alt zu Jung eine seiner größten Stärken. Hat ein einzelnes Individuum etwa neue Fähigkeiten oder Erkenntnisse gewonnen, können diese sofort an Familienmitglieder, Nachkommen, Verbündete und Freunde weitergegeben werden.
Obwohl eine Kultur sich im Lauf der Zeit verändert, besitzt sie doch eine verblüffende Stabilität. Menschliche Gemeinschaften sind so sehr daran interessiert, ihr Wissen und ihre Überzeugungen an die nächste Generation weiterzugeben, dass es in der Tat kaum Beispiele für ein diesbezügliches Versagen gibt. Als äußerst hilfreich erweist sich dabei natürlich, dass der Mensch die einzige Spezies mit einer mehr oder weniger zuverlässigen Sprache ist. Wir müssen unseren Jungen also nicht vormachen, wie sie sich am besten verhalten; wir können es ihnen einfach sagen. Menschen sind einmalig auch darin, dass sie im Grunde alles, was ihnen in den Kopf kommt, verbal ausdrücken können – dadurch war die menschliche Kultur in der Lage, sich weit über die einfachen Kulturen anderer intelligenter Arten zu erheben, die aus dem Sammeln von Nahrung, dem Gebrauch einfacher Werkzeuge und einer rein tonalen Kommunikation bestehen. Deshalb ist es auch nur beim Menschen möglich, dass eine erwachsene Frau mit ihrer Tochter schimpft, weil diese an einem kalten Winterabendviel zu wenig anhat – oder dass ein erwachsener Mann seinen Sohn zu Tode langweilt, indem er ihm bis ins Detail sein Wissen über die Rockmusik der Siebziger ausbreitet.
Und wer ist für diese Weitergabe und Übermittlung von Kultur weitgehend verantwortlich? Niemand anderes als die Middle-Ager. Was die Erforschung des menschlichen Lebensplans angeht, ist man sich heute weitgehend einig, dass wir vor allem deshalb weit über die Reproduktionsphase hinaus leben, weil wir Informationsträger sind. Wie wir gesehen haben, sind es eben die Menschen im mittleren Alter, die durch das ausgewogene Verhältnis von Erfahrung und körperlichem Vermögen am erfolgreichsten Nahrung beschaffen können. Jetzt wird zudem ersichtlich, dass selbst beim Nachlassen des körperlichen Vermögens – wenn also Muskeln schlaff und Knochen mürbe werden – die älteren Mitglieder menschlicher Gemeinschaften weiterhin auch die Erfahrensten sind. Überall in der Welt gibt es Menschen mittleren Alters, die jüngere Erwachsene ausbilden und trainieren, obwohl diese jungen Erwachsenen oft genug intelligenter und schneller sind als sie. Dieser Umstand verleiht Individuen mittleren Alters ihren unglaublichen Wert.
Wäre Darwin noch unter uns, würde sich jetzt ein weises Lächeln in seinem Bart breit machen, und er würde uns sagen, dass Middle-Ager genau dadurch evolutionäre Bedeutung besäßen. Denn aufgrund der Tatsache, dass der mittlere Lebensabschnitt direkte Auswirkungen auf das Wohl unserer Nachkommen hat, unterliegt er einer Entwicklung –
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