Wir Middle-Ager -Unsere besten Jahre
drei Jahren beginnt. Je mehr Erinnerungen sich also angesammelt haben, desto schneller rinnt uns die Zeit durch die Finger. Nun ist dies eher eine Beobachtung als ein wirklicher Grund des Schnellerwerdens. Und so elegant der Gedanke auch erscheinen mag, so birgt er doch eine Reihe Probleme. Denn das würde zum einen bedeuten, dass bei Entstehung des Langzeitgedächtnisses die Zeit unendlich langsam verstreicht – nach dem Motto: Man hat keine Erinnerung, also steht die Zeit still –, und ich bin mir nicht so sicher, ob das, was Dreijährige erleben, wirklich ein eingefrorener Zustand der ewigen numinosen Erkenntnis ist. Zum anderen bin ich davon überzeugt, dass Kinder Erinnerungen auch vor denen haben, die dann als erste gespeichert und bis ins Erwachsenenalter bewahrt werden. Sind die bei dieser Kalkulation mit eingerechnet oder nicht?
Eine Erweiterung dieser Theorie ist, dass die Geschwindigkeit der verstreichenden Zeit in Proportion zur Summe der subjektiv wahrgenommenen Zeit steht, die seit der Kindheit vergangen ist (also nicht der tatsächlichen Zeit). Ich muss zugeben, dass diese Idee herrlich verrückt klingt, und vielleicht sollten wir kurz innehalten und uns das noch einmal durch den Kopf gehen lassen. Hier wird behauptet, ein verstrichenes »Kindheitsjahr« würde die Zeit stärker beschleunigen als ein »Erwachsenenjahr« – einfach weil uns die »Kindheitsjahre« länger vorkommen. Das klingt recht kompliziert oder sogar unsinnig: eine subjektiv wahrgenommene Geschwindigkeit der Zeit, die von davor subjektiv wahrgenommenem Verstreichen der Zeit abhängigt. Aber Mathematiker haben ein paar Tricks drauf, wie man mit so etwas umgeht, und konnten tatsächlich ein Formel aufstellen, mit der für jedes Alter eine subjektiv wahrgenommene Zeitgeschwindigkeit berechnet werden kann.
Aber nur weil man ein paar Berechnungen anstellen kann, heißt das noch lange nicht, dass die Theorie stimmt. Die Formel macht nämlich keinerlei Aussagen darüber, warum die zunehmende Geschwindigkeit in Zusammenhang mit der Summe unserer gemachten Erfahrungen stehen soll – den objektiven, subjektiven oder sonstigen. Im besten Fall handelt es sich hierbei also um eine Beschreibung des Phänomens, und nicht um eine Erklärung. Und richtig zutreffend ist die Beschreibung auch nicht. Bei einigen Untersuchungen entsprechen die Angaben, die Testpersonen zur zeitlichen Distanz vergangener Ereignisse machten, durchaus den hier aufgestellten Grundsätzen. Andere Untersuchungen, bei denen man sich auf die Wahrnehmung von Zeitintervallen in der Vergangenheit konzentrierte, erbrachten keine Ergebnisse, die diese Sicht bestätigten.
Theorie Nr. 3: Wir verzerren die Zeit, um von unseren Ängsten abzulenken
Diese Theorie beschäftigt sich damit, wie wir unser Zeitgefühl manipulieren, um zu erreichen, dass es uns besser geht, und so zu verhindern, dass uns Todesangst befällt.
Wenn wir das Middle-Age erreichen, kommt es uns oft so vor, als stünden wir an einer Lebenskreuzung, und tatsächlich ist ja ein Merkmal dieser Lebensphase, dass sich hier Entscheidendes verändert. Wir sind auf einmal vierzig und merken, dass wir die Hälfte unseres Lebens bereits hinter uns haben (oder auch ein Drittel, wie ich an meinem vierzigsten Geburtstag in gewohnt optimistischer Manier gewitzelt habe). Und auch wenn ich dem Middle-Age gegenüber noch so positiv eingestellt bin, kann ich doch die Tatsache nicht ignorieren, dass die Menschen mit vierzig dem Tod einfach näher sind, als sie das bei der Geburt waren. Ist es dieser plötzliche Ausblick auf die »verbliebene Zeit«, der sie uns jetzt kostbarer macht? Und ist unsere panische Reaktion auf diese Erkenntnis, dass wir jedes dieser kostbaren Jahre mit immer größerer Aufmerksamkeit, Furcht und also subjektiver Geschwindigkeit vorüberziehen sehen?
Nun hat man tatsächlich eine Methode entwickelt, mit der man den Zeitpunkt feststellen kann, an dem Menschen ihren Tod erwarten. Man setzt Testpersonen vor eine gerade Linie und sagt ihnen, das linke Ende sei ihre Geburt, das rechte hingegen ihr Tod. Dann fordert man sie auf, auf der Linie einzuzeichnen, wo sie sich im Moment gerade befinden. Berechnet man daraufhin die Verhältnisse anhand der Parameter, wie sie bei Lebensversicherungen verwendet werden, kommt man zu den erstaunlichsten Ergebnissen. Man stellt beispielsweise fest, dass Frauen viel realistischer an die Sache herangehen als Männer, die ihren Tod meist in viel weiterer Ferne
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