Wir Middle-Ager -Unsere besten Jahre
wie gültig man diese Theorie auch halten will – an dem Gedanken, dass wir unsere Erinnerungen manipulieren und sie uns, ist sicherlich etwas dran. Und auch daran, dass unsere Erinnerungen starken Einfluss darauf ausüben, wie wir den Verlauf unseres Lebens einschätzen.
Theorie Nr. 5: Es passiert einfach nicht mehr so viel Neues
Die fünfte Erklärung dafür, dass die Zeit schneller vergeht, steht in Zusammenhang mit dem Faktor Neuartigkeit. Wenn man etwas zum ersten Mal macht, scheint es länger zu dauern als beim nächsten Mal. Der erste Tag an einer neuen Schule oder in einer neuen Firma will ebensowenig enden wie der erste Tag der großen Ferien. Wenn man einen Unfall hat, kann die Zeit sich noch extremer verlangsamen. Wie oft berichten Menschen von furchtbaren, endlosen Sekunden, die sie durchgemacht haben, wenn ihr Leben in Gefahr war.
Zeitausdehnung aufgrund von Neuartigkeit der Eindrücke ist ein bekanntes Phänomen, das sich im Versuchslabor gut untersuchen lässt. Sollen zum Beispiel Testpersonen einfach schätzen,wie lange sie unterschiedliche Reize wahrgenommen haben, dann sieht man, dass neue Reize ihnen länger vorkommen als solche, die zuvor schon einmal aufgetreten sind oder nicht besonders auffällig waren. Auch den ersten in einer Reihe annähernd gleicher Reize nehmen sie als zeitlich länger andauernd wahr. Man kann sich vorstellen, warum unser Gehirn eine derartige Vorgehensweise entwickelt hat – neuartige und außergewöhnliche Reize verlangen einfach mehr Betrachtung und Überlegung als bereits bekannte, und deshalb macht es Sinn, dass das Gehirn ihnen mehr subjektive Zeit widmet. Im Gegensatz dazu plätschert der Routine- oder Alltagskram einfach so vorbei, ohne dass es einen sonderlich juckt.
Und wenn wir jung sind, ist einfach alles neu. Als Kind erlebt man unendlich viele Dinge zum ersten Mal. Und selbst wenn sie nicht ganz neu sind, ist man doch damit beschäftigt, die passenden Reaktionen darauf zu entwickeln. Folglich würde die Zeit beim Älterwerden immer schneller vergehen, weil wir immer weniger Neues erleben – das Gehirn reagiert auf den längst bekannten Middle-Ager-Alltag, indem es uns einfach durchwinkt. Zu Beginn ist das Leben aufgrund der neuen Herausforderungen ausgedehnt, wohingegen es im Middle-Age – bar neuer Anreize – vor unseren Augen quasi kollabiert.
Warum beeinflussen also Neuigkeiten unser subjektives Empfinden der verstreichenden Zeit? Möglicherweise hat das mit dem Gedächtnis zu tun: Da im Middle-Age weniger Erinnerungen gespeichert werden müssen, denkt das Gehirn vielleicht, dass weniger passiert und somit auch weniger Zeit vergangen ist. Aber es ist genauso gut möglich, dass zwischen Neuigkeiten und der Zeitwahrnehmung im Gehirn eine direkte Verbindung besteht. Vielleicht wird das innere Empfinden von der äußeren Neuigkeit ja auch geradezu diktiert – und es sind genau die neuen Erlebnisse, die die Zeit dazwischen schneller vergehen lassen.
Bei dieser Neuigkeitstheorie läuft aber nicht alles ganz reibungslos. Viele Leute berichten etwa, dass ihnen Erlebnisse aus Kindheit und Adoleszenz viel klarer und ausgedehnter im Gedächtnis sind solche aus späteren Jahren. Beide Altersgruppen, und insbesondere die Teenager, klagen aber regelmäßig über Langeweile. Wir alle wissen, dass die Zeit nicht vergehen will, wenn uns langweilig ist oder wir auf etwas warten müssen. Aber verläuft in der Adoleszenz das Leben langsamer, weil es neuartig und langweilig ist? Sind Neuartigkeit und Langeweile nicht das genaue Gegenteil? Und Langeweile wirkt sich auf die subjektive Zeitempfindung ohnehin eigenartig aus: Eine Woche der Langweile kann noch so qualvoll sein – aber wenn wir uns später daran erinnern wollen, fällt uns fast nichts ein, weil ja auch fast nichts passiert ist.
Beteiligte Faktoren könnten außerdem Spaß und Freude sein, die beide zur Langeweile einen besseren Gegensatz bilden als Neuartigkeit. Wenn uns etwas Spaß macht, vergeht die Zeit wie im Flug, andererseits nehmen umtriebige und erfüllte Wochen gegenüber eher monotonen Phasen in der Erinnerung viel breiteren Raum ein. Rückblickend kommt es uns vor, als hätten sie ewig gedauert, und das, obwohl sie doch damals im Handumdrehen vorbei waren. Die subjektive Zeitwahrnehmung beruht also am ehesten auf einer Mischung aus Neuartigkeit, Langeweile und Spaß. Außerdem deckt sich die Zeitempfindung bei einer Tätigkeit oft nicht mit der Zeitempfindung bei der Erinnerung an
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