Wir Middle-Ager -Unsere besten Jahre
handelt sich hier jedoch im besten Fall um Durchschnittswerte, und selbst wenn sie stimmen, weichen einzelne Paare doch immer wieder stark davon ab. Tatsächlich scheint nicht nur dieLänge einer Beziehung für die Häufigkeit des Geschlechtsverkehrs beim Älterwerden ausschlaggebend zu sein. So äußern gesunde Paare ein deutlich höheres Interesse an Sex (50 bis 80%) als solche, die nicht so gut dastehen; oft begründen ältere Menschen den Rückgang ihrer sexuellen Aktivität sogar mit abnehmender Gesundheit. Bei Frauen schreibt man gern der Menopause eine wichtige Rolle zu, wenngleich das Verhältnis von Menopause und Sexualverhalten nicht unumstritten ist – die Auswirkungen des tatsächlichen Alters und der Menopause sind nämlich gar nicht so leicht auseinanderzuhalten. Und natürlich gibt es auch Forscher, die sagen, die Menopause nehme keinerlei direkten Einfluss. Als weiterer Faktor wurden Kinder genannt: Die Geburt eines Babys zieht für die Eltern demnach eine starke Abnahme der sexuellen Aktivität nach sich, und wenn man sich die Statistiken ansieht, scheint es da wirklich einen Zusammenhang zu geben, und zwar nicht etwa einen vorübergehenden, sondern einen anhaltenden. Zu den erstaunlichen Ergebnissen dieser Untersuchungen gehört auch, dass gemischtrassige Paare offenbar öfter Sex haben als gleichrassige, und dass außerdem bei Paaren, die viel streiten, mehr Unterhaltung geboten ist als bei friedlichen. Dazu kommt, dass man zwar vorhaben kann, Kinder zu zeugen, und deshalb auch häufiger Sex hat, dass sich das aber erstaunlich schwach auswirkt, und zwar auch bei jungen Erwachsenen. Es scheint, als seien die Lust am Sex und der Drang zum Kinderkriegen für die Menschen zwei Paar Stiefel – was vom evolutionären Standpunkt aus betrachtet eine fatale Verhaltensweise ist. Die natürliche Selektion hat wenig Nachsehen mit denen, die hinsichtlich der Nachkommenschaft ein gewisses Laissez-faire an den Tag legen.
Ein wichtiges Thema ist auch, wie viel Sex die Menschen eigentlich haben wollen. Wenn Middle-Ager halb so viel Sex wie junge Erwachsene haben, dann kann das ja durchaus bedeuten,dass einfach das Verlangen nachgelassen hat; die Angaben sind hier allerdings recht verwirrend. Ein Aspekt des menschlichen Verhaltens, der sich auf die Zufriedenheit von Frauen in der Beziehung auswirkt, ist die Häufigkeit von Vaginalsex – einer Verkehrsform, die am ehesten gewährleistet, was für Frauen wichtig ist: Intimität, Vertrauen und Liebe. In einer australischen Studie hat jedoch über ein Viertel der befragten Frauen zwischen vierzig und neunundvierzig angegeben, es sei ihnen gleichgültig, wie oft es zu sexuellen Handlungen kommt. Und auch wenn es eher die Männer sind, die über abnehmende Häufigkeit klagen, scheinen Frauen sich Untersuchungen zufolge um die »Qualität« des Geschlechtsverkehrs zu sorgen. Einen Orgasmus zu haben, ist für sie nämlich durchaus von Bedeutung, wobei man nicht recht weiß, ob dafür eigennützige Motive verantwortlich sind oder eher der Umstand, dass ein Orgasmus den »erfolgreichen« Abschluss des so immens wichtigen Vaginalverkehrs anzeigt. Wir wissen also nicht so recht, welche Bedeutung wir der Häufigkeit von Sex beizumessen haben, wobei klar geworden ist, dass der Sex, den die Menschen sich wünschen , genauso wichtig ist wie der, den sie tatsächlich kriegen . Beide Geschlechter sind glücklicher, wenn die Häufigkeit erreicht wird, die sie angestrebt haben.
Man muss sich bei all dem Gesagten klarmachen, dass die Häufigkeit des Geschlechtsverkehrs an Menschen untersucht wurde, die in unserer modernen, post-agrarischen und post-industriellen Gesellschaft leben. Das verwundert jetzt nicht wirklich, aber wir haben auch schon gesehen, dass das Leben der Menschen über weite Strecken der Geschichte anders ausgesehen hat – und wir als evolutionäre Erzeugnisse dieser Geschichte jetzt in eine neue, ganz »unnatürliche« Welt hineingeboren wurden. Deshalb ist es gut möglich, dass das sexuelle Verhalten der heutigen Middle-Ager aus Artefakten besteht, aus abnormen Nebeneffekten der Verhältnisse und Gemeinschaften, in denen wir uns heutewiederfinden. So wie es aussieht, wissen wir recht wenig über das prähistorische Sexualverhalten, und damit auch nichts darüber, wie es sich von der Erotik heutiger Middle-Ager unterschied.
Wie auch immer man das vorhandene Material auch interpretieren will, so ist eines klar – in der Gegenwart nimmt die Häufigkeit des
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