Wir Middle-Ager -Unsere besten Jahre
wenngleich der zugrundeliegende Widerspruch schnell skizziert ist. Menschen haben mit Überschreiten der vierzig weit weniger Babys als in den beiden vorausgegangenen Jahrzehnten, und das war schon immer so. Dennoch werden wir oft genug doppelt so alt, und wir haben bereits gesehen, dass auch dies in der Vergangenheit über weite Strecken die Regel war. Was sagt uns das also über Sexualität und Paarverhalten jenseits der vierzig? Wozu ist Sex gut, wenn es nicht darum geht, Kinder zu kriegen? Wir werden sehen, dass Verliebtsein und Sex im Middle-Age ihre Fortpflanzungs-Komponente verlieren und dass die Essenz des Sexualverhaltens zum Vorschein kommt. Sobald die Sexualität nicht mehr der Fortpflanzung dient, kommt ihr rein zwischenmenschlicher Aspekt zum Tragen.
Bei der Annäherung an diese Problematik werde ich meinen evolutionär-zoologischen Ansatz beibehalten, denn indem wir die Besonderheit der Spezies Mensch herausarbeiten, können wir viel besser verstehen, mit was das Leben uns hier und heute konfrontiert. Unsere zwischenmenschlichen Beziehungen im Middle-Age sind das Resultat einer natürlichen Selektion, die über Millionen von Jahren hinweg manches ausgesondert hat und anderes gedeihen ließ. Unsere Vorfahren sind diejenigen, die überlebt haben, und überlebt haben sie, weil sie sich ein paar ziemlich starke Triebe angeeignet haben. Mit das erstaunlichste Resultat dieser unbarmherzigen Evolution ist der Unterschied zwischen Männern und Frauen – ein Unterscheid, wie er größer fast nicht sein kann. Wir streben nach unterschiedlichen Dingen, brauchen unterschiedliche Dinge, gehen das Leben überhaupt vollkommen unterschiedlich an. Hin und wieder entstehen dadurch Konflikte.
In den folgenden Kapiteln werden wir untersuchen, was mit den vier fundamentalen Kräften der Reproduktion geschieht – dem Sexualakt, der weiblichen Sexualität, der männlichen Sexualität, außerdem der Fähigkeit, Nachwuchs zu zeugen –, während über das gesamte Middle-Age hinweg unser Fortpflanzungspotenzial langsam schwindet. Abschließend werden wir betrachten, wie diese Entwicklungen sich auf das Familienleben auswirken – und nicht zuletzt auf die Liebesbeziehung selbst.
Wie oft also haben nun Menschen im mittleren Alter Sex? Sagen wir mal so: Öfter als jüngere Leute wahrhaben wollen.
Erste diesbezügliche Untersuchungen fanden in den USA in den 1940er und 1950er-Jahren statt, und sie kamen zu dem Ergebnis, dass das Sexualleben bei heterosexuellen Paaren vom jungen Erwachsenen bis zum Middle-Ager beständig abnimmt. Darüber hinaus kam man zu dem Ergebnis, dass vaginaler Geschlechtsverkehr – also der, durch den Nachwuchs entstehen kann – nochrapider zurückgeht als andere sexuelle Praktiken. Was genau genommen nichts anderes bedeutet, als dass die nicht auf Fortpflanzung ausgelegten Sextechniken beim Älterwerden eher beibehalten werden. Offensichtlich ist bloße Fruchtbarkeit nicht der stärkste Antrieb für Sex – auf diesen Gedanken werden wir später noch zurückkommen.
Gerade im Hinblick auf das Middle-Age wurden spezielle Untersuchungen angestellt. Eine davon ergab, dass Menschen, die das mittlere Alter gerade »verlassen« – Menschen zwischen siebenundfünfzig und fünfundsechzig –, mit großer Mehrheit behaupten (73%), sexuell aktiv zu sein, wohingegen diese Zahl zwei Jahrzehnte später auf 26% schrumpft. Bedenkt man, dass laut anderer Untersuchungen junge Erwachsene sexuell bei Weitem nicht so aktiv sind, wie man glaubt, dann steht es um das Ausmaß der sexuellen Aktivität im mittleren Alter gar nicht so schlecht.
Wobei der Umstand, dass Sex stattfindet, noch lange nicht heißt, dass er er auch weiterhin so häufig stattfindet wie bisher. Retrospektivstudien von Langzeitbeziehungen haben ergeben, dass laut Aussage der Befragten die Häufigkeit des Geschlechtsverkehrs innerhalb des ersten Jahres drastisch zurückging – und zwar um nicht weniger als die Hälfte. In dieser frühen Phase scheint die Häufigkeit bei Paaren, die keinen vorehelichen Sex hatten, noch mehr abzunehmen. Und noch drastischer präsentiert sich der Rückgang, wenn man als Ausgangspunkt nicht die Eheschließung nimmt, sondern die tatsächliche Aufnahme der sexuellen Beziehung. Doch damit nicht genug: Auf den ersten Rückgang der Häufigkeit folgt eine erneute Halbierung der sexuellen Aktivität, wobei die viel langsamer vonstattengeht und sich über einen Zeitraum von etwa zwanzig Jahren erstreckt.
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