Wir Middle-Ager -Unsere besten Jahre
überlegt erst, woran sein Scheitern liegen und wie er es beim nächsten Mal besser machen könnte.
Im Middle-Age erhält diese Selbstanalyse eine neue Färbung. Jetzt denken die Menschen ausgiebig über den Verlust ihrer Fähigkeiten nach, den sie ab vierzig wahrnehmen (und über den manchesogar ganze Bücher schreiben müssen). Doch das Middle-Age lädt auch aus anderen Gründen zu einem derartigen Selbst-Check ein. Beispielsweise ist es die Lebensphase, die hinsichtlich beruflicher und anderweitiger Leistung am anspruchsvollsten ist – Middle-Ager wissen, dass von ihnen noch viele produktive Jahre verlangt werden (im Gegensatz zu den Alten), fürchten aber bereits, dass ihre körperlichen und geistigen Kräfte nachlassen (im Gegensatz zu den Jungen). Zudem hat sich die nach dem Zweiten Weltkrieg geltende, stillschweigende Vereinbarung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern längst aufgelöst, weshalb heutige Middle-Ager weder Aussicht auf einen festen Arbeitsplatz noch auf eine üppige Altersversorgung haben und sich in einer ganz schön prekären Lage befinden. Die stattfindende Nabelschau wird oft noch dadurch verschärft, dass der mittel-alterliche Blick zurück in die eigene, durch ach so viel Aktivität und Lebhaftigkeit geprägte Jugend oft getrübt, wenn nicht gar falsch ist. Untersuchungen zufolge erinnern sich Middle-Ager ziemlich genau an das, was in ihrem Leben fünf Jahre zuvor stattgefunden hat, doch wenn sie zwanzig Jahre zurückdenken müssen, erweist sich das Gedächtnis als äußerst schwach. Middle-Ager neigen also dazu, sich an einer glorreichen Vergangenheit zu messen, die es so nie gegeben hat.
Die Selbstkritik hat natürlich auch ihre guten Seiten, denn Middle-Ager erkennen so nicht nur ihre Schwächen, sondern genauso auch ihre Stärken, und sie können sich auf das Positive konzentrieren, wo immer sie es ausmachen. Sozioökonomischer Status und Art der Beschäftigung haben dabei großen Einfluss darauf, wie Menschen das Middle-Age als solches einschätzen beziehungsweise wahrnehmen. Arbeiter sagen etwa, es beginnt mit vierzig, für Angestellte liegt der Zeitpunkt mehr in Richtung der fünfzig. Das Middle-Age ist also nicht nur eine Ansammlung biologischer Veränderungen, die bei jedem mehr oder weniger gleichzeitig stattfinden, es ist auch eine Art geistige Verfassung.
Selbstanalyse ist also der Schlüssel zum fruchtbaren Umgang der Middle-Ager mit den Jungen – und man kann gar nicht oft genug betonen, wie entscheidend dieser Umgang für das Fortbestehen unserer Art ist. Gesellschaft und Kultur des Menschen beruhen auf dem fortwährenden Austausch zwischen zwei ganz unterschiedlichen Menschentypen – den jungen Leuten (Teenagern bzw. jungen Erwachsenen) und den Middle-Agern. Über die ganze Geschichte der Menschheit hinweg haben die Jüngeren für neue Ideen, Kreativität und kulturellen Wandel gesorgt, wohingegen die Middle-Ager für Analyse, Planung, Organisation und kulturelle Kontinuität zuständig waren. Diese Spezialisierung ist kein Resultat unserer sozialen Struktur, sondern die unvermeidliche Folge der strukturellen und funktionalen Veränderungen, die in unserem Gehirn zu unterschiedlichen Zeitpunkten unseres Lebens stattfinden. Es ist unvermeidlich, dass man in jungen Jahren ein junges Gehirn hat, und genauso wenig kann man sein Gehirn davor schützen, irgendwann mittel-alterlich zu werden. Die ständige Weiterentwicklung des menschlichen Gehirns ist keine optionale Angelegenheit – sie wird zum Zeitpunkt unserer Zeugung unwiderruflich festgelegt. Und aus diesem Grund führen die zwei mächtigsten Altersgruppen einen so nervigen wie endlosen Streit um die Vorherrschaft – die Jungen, die dies oder jenes verändern wollen, und die Middle-Ager, die das weiterführen wollen, was bisher funktioniert hat.
Um sich an diesem Konflikt beteiligen zu können, müssen Middle-Ager in der Lage sein, mit jüngeren, klügeren und schnelleren Leuten nicht nur mitzuhalten, sondern ihnen vielleicht sogar voraus zu sein. Nur – wie machen sie das? Middle-Ager schlagen die Jüngeren nicht unbedingt durch »Erfahrung«, sondern vielmehr durch etwas, das wir vielleicht »Perspektive« oder »Überblick« nennen können: Untersuchungen zufolge sind Middle-Ager nämlich extrem gut darin, »den Wald trotz lauter Bäume zusehen«. Experimente haben gezeigt, dass sie nicht nur größere Informationsmengen im Kopf behalten können, sondern auch »einen Schritt zurücktreten«, diese
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