Wir müssen leider draußen bleiben
Waren endlich, sondern auch Gerechtigkeit und Wahlfreiheit. Solidarität zwischen den Bedürftigen entsteht so kaum, sie werden eher zu Konkurrenten.
Mittlerweile ist auch Klara ** gekommen, die 13-jährige Tochter von Elisabeth Müller. Sie schaut sich unsicher um, man merkt, dass sie sich hier unwohl fühlt. Das bildhübsche, zierliche Mädchen trägt eine schwarze Satinhose, die am Knie ein Loch hat. »Was hast du denn da gemacht?« fragt die Tante, das Mädchen schaut traurig auf den Boden. »Macht ja nichts, das hat man jetzt so«, versucht die Tante zu trösten.
Klara besucht das Gymnasium, sie leidet sehr unter der Situation der Familie, sehr viel mehr als ihre kleinen Geschwister, die noch nicht ahnen, dass gesellschaftliche An erkennung davon abhängt, welche Kleider oder Handys sie besitzen. Ihre Klassenkameradinnen, die sie gern zu Freundinnen hätte, kommen überwiegend aus Mittelschicht s familien ohne Geldsorgen. Da können es sich die Eltern auch leisten, den Mädchen 50 Euro für einen Einkaufsbummel mit anschließendem Besuch bei McDonald’s in die Hand zu drücken. Elisabeth Müller kann das nicht. Selten kann sie Klara zu solchen Nachmittagen mitschicken. »Mehr als 5 Euro sind dann nicht drin«, sagt sie.
Ihr selbst fällt der Verzicht nicht so schwer. Aber dass sie ihren Kinder so wenig bieten kann, »das tut wirklich weh«. Auch wenn sie verstünden, dass das meiste von dem, was für andere selbstverständlich ist, bei ihnen einfach nicht geht. Obwohl Frau Müller mit Büchern und DVD s aus der Bibliothek versucht, die Kinder auf dem neuesten Stand zu halten, und es bei den Kindern durchaus die Einsicht gibt, dass coole Klamotten, Shoppingtouren und Fast Food nicht das Wichtigste sind im Leben: Wer diesen Status nicht halten kann, wer auf Almosen angewiesen ist, gehört nicht mehr dazu. Deshalb traut sich Klara im Sommer nicht einmal mehr ins Freibad. Zwar ist der Eintritt für Bedürftige in München kostenlos. Doch wenn Klara ihren München-Pass an der Kasse vorzeigt, lachen die anderen sie wegen ihres »Penner-Passes« aus.
In einem Interview in der Süddeutschen Zeitung erzählt Paul Nolte, dass er in einer Pfarrersfamilie aufgewachsen sei. »Jeden Tag standen Penner vor unserer Haustür und wollten eine Mark oder etwas zu essen haben. Da bin ich halt in die Küche und habe ein Butterbrot geschmiert.«
Er habe viel Empathie von zu Hause mitbekommen, sagt Nolte, der vom Pfarrersohn zum Hassprediger der Elite aufgestiegen ist, der heute seine Empathie gilt. Deshalb beklagt er wohl eine fehlende »Aufstiegmentalität«. 62
Dabei haben 15,8 Prozent der Arbeitslosen in den westlichen Bundesländern einen Hochschulabschluss. Im Osten sind es 13,8. 80 Prozent der Geisteswissenschaftler finden nach dem Studium keine feste Anstellung sondern schlagen sich mit schlecht bezahlten Aushilfsjobs durch. 1,2 Prozent der Arbeitslosen sind Akademiker zwischen 25 und 35 Jahren, die direkt nach der Uni Hartz IV beantragen müssen. 63 Das Problem von Menschen wie Elisabeth Müller ist also keinesfalls mangelnde »Aufstiegs mentalität«, sondern das sind der rapide Abstieg – und die Abstiegsangst der Mittelschicht, die sich, wie von Nolte gewünscht, nach oben orientiert. Frau Müller sagt, dass sie gern wieder arbeiten gehen würde. Doch mit sechs Kindern und ohne Unterhalt müsste sie mindestens 5 000 Euro verdienen, um ohne Unterstützung ein normales Leben führen zu können. Mit einem durchschnittlichen Gehalt von 2 000 Euro stünde sie noch schlechter da als jetzt, weil ihr sämtliche Unterstützung gestrichen würde. Auch ein Besuch bei der Tafel wäre dann nicht mehr drin, weil sie ihre Zugangsberechtigung verlöre.
»Wer im Wohnzimmer die berühmte Glasschale mit drei Kilo Süßigkeiten stehen hat, dem kann man sagen, dass sich das Geld auch anders investieren lässt, in Obst und Gemüse oder ein Buch zum Vorlesen zum Beispiel«, eifert Nolte, der sagt, er würde »den Finger in die Wunde legen« wollen. 64 In der der Bedürftigen jedenfalls bohrt er ziemlich tief.
»Ich fühle mich von so was nicht angesprochen, ich arbeite ja von früh bis spät für die Kinder«, sagt Frau Müller. Und trotzdem soll nicht einmal ihr Bruder wissen, dass sie zur Tafel geht: »Er hält solche wie mich für Parasiten der Gesellschaft.« Auf Frau Müllers Tisch steht keine Glasschale mit drei Kilo Süßigkeiten, sondern ein Teller mit Weintrauben. Dazu legt ihr achtjähriger Sohn seine Matheschularbeit, eins
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