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Wir müssen leider draußen bleiben

Wir müssen leider draußen bleiben

Titel: Wir müssen leider draußen bleiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Hartmann
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Ernährung, Umwelt und Nachhaltigkeit. Er leitet zwei Jahre ein Forschungsprojekt zu den Tafeln und ist Herausgeber des Bandes Tafelgesellschaft. Zum neuen Umgang mit Überfluss und Ausgrenzung . Er sagt: »Die Simulation des Kundenstatus markiert ja gerade: Ihr ge hört nicht dazu. Es ist ja keine Versorgung über den Markt, sondern neben dem Markt.« Unbeschädigte, also »normale« Kunden zeichnen sich dadurch aus, dass sie ihren Bedarf auf eigenständige Weise befriedigen können. Wären sie echte Kunden, müssten sie eben nicht zur Tafel. »Der Kunde ist König, nicht Bettler«, sagt Lorenz.
    Echte Kunden dürfen auch Ansprüche stellen. Tafelnutzer können das nicht. Zum einen, weil das Angebot oft willkürlich ist: So gibt es statt Grundnahrungsmitteln wie Mehl, Nudeln oder Reis oft kistenweise Produkte wie Kilodosen Zwie belsuppenpulver. Darüber sollte sich der Tafelkunde aber nicht beschweren: »Tafelkunden können keinen Anspruch haben. Das ist ein Problem. Denn wir merken halt auch: Der Anspruch ist da. Wir hatten auch schon Situationen, da hieß es dann: Ich habe hier bezahlt, da hab ich eine Anspruch auf was Anständiges, wo wir dann schon auch mal in einem Fall dem laut meckernden Mann den Euro zurückgegeben und gesagt haben: Geh zu Aldi, kauf dir was Schönes«, sagt die Gründerin der Berliner Tafel, Sabine Werth. Man könnte auch sagen: Friss oder stirb.
    Permanent wird den Nutzern der Tafel ihr Status des Nichtk unden vergegenwärtigt. Auch durch das Angebot: Hier landen Produkte, die andere nicht haben wollen. Auf verstörende Art und Weise kann man so erkennen, was auf dem ersten Konsumgütermarkt angesagt ist und was nicht: Wenn die Leute weniger Fleisch essen wollen, weil Vegetarismus gerade in ist, gibt es eben mehr Wurst und Schnitzel für die Tafeln. Ebenso türmen sich Erdbeeren im Winter, wenn mal wieder in der Zeitung stand, dass deren Anbau der Umwelt schadet und der sogenannte verantwortungsvolle Konsument aus ökologischen Gründen folglich die Finger davon lässt. Bis in den Februar hinein gibt es abgepackten Raclettekäse von Silvester. Und während normale Kunden Osterhasen und Schokoeier kaufen, dürfen sich Tafelnutzer im April über Weihnachtsgebäck und Schokonikoläuse freuen. Nach dem Dioxinskandal entstand ein Überangebot von Eiern, die die verschreckten Kunden lieber im Supermarkt stehen ließen. Und als im Mai 2011 in Deutschland EHEC-Infektionen ausbrachen und man den Erreger auf Salat und Gurken vermutete, landeten bei einigen Tafeln selbstverständlich kistenweise Salat aus Norddeutschland und Gurken aus Spanien – die allerdings nicht verteilt wurden. 71
    Freiwillige und unfreiwillige Entsorger des Wohlstandsmülls
    Das scheint die einzige Leistung, die Tafelkunden noch zu bieten haben: Sie entsorgen den Wohlstandsmüll – und damit en passant das schlechte Gewissen der Konsumgesellschaft. Gerd Häuser, Vorstandsvorsitzender des Tafelbundesverbands, sieht darin sogar eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe. Er sagt, er kämpfe für mehr Selbstbewusstsein bei den Tafelnutzern: »Ich wünsche mir, dass sie sagen: Ich tu was für die Gesellschaft, weil ich einen ökologischen Beitrag leiste. Diese Leistung müssen wir anerkennen. Das sind keine Almosenempfänger, sondern Rädchen in der Lebensmittelindustrie. Wenn es sie nicht gäbe, müsste man das Zeug wegschmeißen. Das ist ja wohl auch nicht die Lösung.«
    Das klingt allerdings zynisch. Denn niemand geht aus ökologischen Gründen zur Tafel, sondern weil ihn Not und Hunger dazu zwingen. Und gewiss würde es Handelsketten und Lebensmittelkonzernen und vielleicht auch den Tafeln nicht gefallen, wenn Tafelnutzer selbstbewusst Überproduktion anprangerten.
    Das wiederum machen die sogenannten Freeganer. Die Bewegung entstand Mitte der neunziger Jahre unter Globalisierungsgegnern in New York. Der Name ist zusammengesetzt aus »free« für frei und »vegan«, was bedeutet, sich ohne tierische Produkte zu ernähren. Es ist eine politische Ernährungsform, die sich den kapitalistischen Marktprinzipien verweigert. Tafelnutzer wie Freeganer ernähren sich aus den gleichen Quellen. Der Unterschied ist nur: Freeganer holen sich einfach, was sie brauchen – ganz anarchisch. Nachts ziehen sie »los« und sammeln aus den Müllcontainern hinter den Supermärkten Lebensmittel, die noch verzehrfähig sind. Freeganer haben hippe Bezeichnungen für das, was sie tun, sie nennen es »Dumpster Diving« oder »Containern«, es gibt

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