Wir müssen leider draußen bleiben
mit Sternchen, Frau Müller unterzeichnet nicht ohne Stolz. An den Wänden der hübsch eingerichteten Wohnung hängen Fotos aus der anderen Zeit: die kleinen Kinder am Strand, die Familie vor Sehenswürdigkeiten in südeuropäischen Städten, Elisabeth Müller im Businesskostüm mit Kollegen. »Trauben von der Tafel«, sagt Frau Müller, steckt sich eine in den Mund und schüttelt lachend den Kopf. Einen solchen Luxus, sagt sie, könnte sie sich sonst nicht leisten. Wenn man fragt, welchen Luxus sie sich denn gönne, dann sagt sie fast trotzig: »Kaffee. Ja. Den kauf ich mir manchmal.« Dann schenkt sie sich eine Tasse aufgewärmten Kräutertee ein. Kaffee gibt es heute nur für den Gast.
Vom Müll in den Magen
Es ist kurz vor sieben Uhr. Die Morgensonne färbt die Türme des Heizkraftwerks am Rand des Münchner Großmarktgelän des rosa, ein Gabelstapler fährt Paletten über die ruhige Straße, leere Lieferwagen kommen vom Ausliefern zurück. Nur auf dem Parkplatz vor dem Heizkraftwerk, den die Stadt München der Tafel kostenlos für die 15 Lieferfahrzeuge zur Verfügung stellt, herrscht rege Geschäftigkeit. Motoren brummen, Autotüren knallen, das Handy der Koordinatorin Ruth Stark klingelt ununterbrochen, während sie den Fahrern Anweisungen zuruft. Wenn der Hauptbetrieb am Großmarkt vorbei ist und die frischen Lebensmittel in den Regalen der Supermärkte liegen, beginnt die Arbeit der Tafel. Sie steuert die Rückseite jener Supermärkte und Discounter an, auf deren Laderampen Kisten voll mit übrig geblieben Lebensmitteln stehen, die die regulären Kunden in den Regalen haben liegen lassen. Fahrer Dimitri *** , 41, ist einer von 11 fest angestellten Mitarbeitern der Münchner Tafel. Mit den Jahren und unter dem Ansturm von immer mehr Armen mussten sich die Tafeln professionalisieren. Achtstündige Abhol- und Ausliefertouren, jeden Morgen ab sieben Uhr – das ist auch mit knapp 400 Ehrenamtlichen nicht zu leisten. 65
Dimitri, der Ukrainer, ist ausgebildeter Zahntechniker. Als er vor mehr als zehn Jahren in der Hoffnung auf ein besseres Leben nach Deutschland kam, fand er keine Arbeit. Also machte er eine Umschulung zum Systemadministrator, doch auch nach 150 Bewerbungen hatte er noch keinen Job. Dimitri kam als Ehrenamtlicher zur Tafel, er stieg zum Ein-Euro-Jobber auf. Mancher Kollege von Dimitri war zuallererst selbst Nutzer der Tafel. Ein fester Job bei der Tafel ist das Ende einer Karriereleiter, die zwar aus der individuellen Armut herausführt, aber nicht aus der Parallelwelt der Armut. Dimitris Beruf ist es jetzt, Bedürftige mit kostenlosem Essen zu versorgen, andere Arbeitslose, die nicht so viel Glück hatten wie er.
Dimitri parkt den Lieferwagen rückwärts vor der Laderampe eines Discounters. Er geht durch den Laden zum Hintereingang, vorbei an den Regalen mit frischer Ware, die auf Kunden warten; ein Mitarbeiter zeigt wortlos neben die Kartonpresse. Unterhalb der Rampe stehen die Mülltonnen hinter einem abgeschlossenen Gitter.
Dimitri zieht seine Arbeitshandschuhe an und räumt die Müllsäcke beiseite, die auf den Kisten stehen, in denen das Essen für die Tafel wartet. Es gibt jede Menge Bananen, Paprika in Plastikschläuchen, Salatköpfe und Orangen; eine Kiste mit guten Kartoffeln, zwischen denen zwei Flaschen Bier ausgelaufen sind und in der drei Tiefkühlpizzen auftauen, muss Dimitri zurücklassen. Beim nächsten Discounter lässt sich erst gar kein Mitarbeiter blicken; vor dem verschlossenen Rollladen steht ein Turm aus Kisten. In einer gammelt Putenfleisch vor sich hin, in einer anderen suppt abgelaufener Joghurt aus ka putten Bechern über eine Schachtel mit zerdrückten Eiern, Fliegen sitzen auf dem Müll. Ist das einfach nur gedankenlos, oder glauben Lebensmittelkonzerne mit zweistelligem Milliardenumsatz tatsächlich, dass selbst verdorbenes Essen für Arme allemal gut genug ist?
Hannelore Kiethe, die die Münchner Tafel 1994 gründete, sagt, dass es eine Weile gedauert habe, bis sie den Supermärkten angewöhnt hätten, den Wareneinsammlern nicht einfach nur den Müll zu überlassen. »Man gab uns häufig verschimmelten, ungenießbaren Schrott. Wir waren für die Händler ein gefundenes Entsorgungsunternehmen«, schreibt Kiethe in dem kleinen Bildband … außer man tut es , den die Münchner Tafel anlässlich ihres 15-jährigen Bestehens veröffentlichte.
Die Chuzpe der Händler, den Ehrenamtlichen säckeweise verfaulte Kartoffeln oder Kisten mit stinkendem Fisch zu über
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