Wir müssen leider draußen bleiben
adelt. Perfidestes Beispiel in diesem Zusammenhang: die Drachenfrucht. Das exotische Obst mit der pinkfarbenen Hülle und dem Fruchtfleisch, das Stracciatella-Eis ähnelt, sieht so attraktiv aus, dass Supermärkte gern ihre Obst abteilungen damit schmücken. Tatsächlich aber scheint die Frucht, die in Lateinamerika und Asien angebaut wird, nur als Lockmittel zu dienen. Haben will sie nämlich niemand. Die beiden Autoren Stefan Kreutzberger und Valentin Thurn haben bei den Recherchen zu ihrem Buch: Die Essensvernichter. Warum die Hälfte unseres Essens auf dem Müll landet und wer dafür verantwortlich ist, herausgefunden, dass diese Früchte, die in teuren Supermärkten bis zu fünf Euro kosten, zu 80 Prozent weggeschmissen werden. 86 Eine gigantische Verschwendung von Lebensmitteln und Energie: Von Januar bis Dezember werden die druckempfindlichen Früchte aus Lateinamerika und Asien eingeflogen, um in deutschen Mülleimern zu landen.
Weil die teuren Supermärkte sich durch »Premium-Qualität« absetzen wollen, gehört es zur obersten Maxime, Gemüse, Obst und Salat mit braunen Stellen oder Dellen sofort auszusortieren. Schnell verderbliches Gemüse wie etwa Salat oder Radieschen darf deshalb oft überhaupt nur einen einzigen Tag lang verkauft werden. In Valentin Thurns WDR -Film Frisch auf den Müll 87 begleitet das Kamerateam eine auskunftsfreudige Verkäuferin bei der Arbeit in einem Supermarkt der Rewe Group. Sie erzählt, dass sie einen Salat schon aus dem Regal nehmen muss, wenn nur ein einziges Blatt eine braune Stelle hat. Dasselbe gilt für einen makellosen Kohlrabi, an dem die Blätter fehlen. »Wenn schon das Grüne ab ist, kauft keiner den Kohlrabi. Ist das Grüne dran, machen sie’s ab«, sagt kopfschüttelnd die Frau, der es sichtbar unangenehm ist, dass es zu ihrem Job gehört, gutes Essen einfach wegzuschmeißen. 88 Kein Verkäufer oder Filialleiter steht hier und weist, wie bei der Tafel, die Kunden zurecht, dass sie sich nicht so anstellen sollen, dass man den Kohlrabi ja wohl noch essen und braune Stellen einfach wegschneiden kann. Im Gegenteil: Im Konsumismus ist es das verbriefte Recht des »mündigen Konsumenten«, Kohlrabi angeboten zu bekommen, bei dem er sogar wählen darf, ob die ungenießbaren Blätter dranbleiben sollen oder nicht. Deshalb werden jeder zweite Kopfsalat, jede zweite Kartoffel und jedes fünfte Brot entsorgt.
Milchprodukte, erzählt die Rewe-Verkäuferin, müssen zwei Tage vor Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums aussortiert werden. Dabei ist schon das willkürlich, weil es mit der echten Haltbarkeit eines Joghurts nicht das Geringste zu tun hat – meist hält der noch bis zu drei Wochen länger. Die aussortierten Waren werden augenblicklich nachgeordert, meistens bestelle man noch etwas mehr, um »Engpässe« zu vermeiden. Dabei geht es ausschließlich darum, dass alle Regale zu jeder Zeit randvoll sind, wir leben ja nicht im Kommunismus: »Leere Regale, das hatten wir schon mal: in den ostdeutschen HO-Läden«, sagt Helmut Martell, Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Großbäckereien, und es klingt wie eine Drohung. 89 500 000 Tonnen Brot werden in Deutschland deshalb jedes Jahr vernichtet, Bäckereiketten produzieren bis zu 30 Prozent für den Müllcontainer, weil ihre Brotregale und die der Supermärkten bis kurz vor Ladenschluss komplett gefüllt sein müssen. 90
Die Zerstörung des Essens und der globale Hunger
Ein Lastwagen voll mit altem Brot ist die beklemmende Anfangsszene von Erwin Wagenhofers Film We Feed the World . Unser täglich weggeworfenes Brot befördert direkt den Hun ger in der Welt: Je mehr Weizen nachgefragt, je mehr Brot also für die Tonne produziert wird, desto größer der Hunger. Nicht weil wir das Brot »schließlich nicht nach Afrika schicken können«, wie manche ihr schlechtes Gewissen ob der gigantischen Verschwendung rechtfertigen. Sondern weil eine gestiegene Nachfrage die Weizenpreise an den Rohstoffbörsen nach oben schießen lässt. Das Menschenrechtsverbrechen Agrarspekula tion ist ein profitables Geschäft für einige wenige. Für sehr viele hingegen bedeutet sie Leid und Tod, weil die Lebensmittelpreise in den Entwicklungsländern explodieren und die Menschen dort kein Essen mehr kaufen können. Im Sommer 2008 etwa verdoppelte sich der Weizenpreis, sodass es in vie len armen Ländern zu Unruhen kam, die teilweise vom Militär brutal niedergeschlagen wurden. 91 Kurz: Menschen, von Hunger und Verzweiflung zu
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