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Wir müssen leider draußen bleiben

Wir müssen leider draußen bleiben

Titel: Wir müssen leider draußen bleiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Hartmann
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Supermärkte stehen in einem symbiotischen Verhältnis zueinander. »Man verhindert ja eben nicht das Entstehen von Abfällen – denn daran kann die Tafel kein Interesse haben. Dann hat man ja immer weniger zu verteilen«, sagt Stephan Lorenz. Das Prinzip der Tafeln setzt keine Anreize, sich von der Idee unendlichen Wirtschaftswachstums zu verabschieden. Sie tragen auch nicht dazu bei, die Strukturen der Verschwendung zu ändern, sondern greifen erst am Ende der Wertschöpfungskette ein: am Mülleimer. Dennoch spart der Bundesverband der Tafeln nicht an Eigenlob: Im hauseigenen Feedback -Magazin zum Thema Nachhaltigkeit preist Häuser die Arbeit der Vereine als ein »Paradebeispiel nachhaltigen Handelns«. 79
    130 000 Tonnen Lebensmittel verteilen die Tafeln pro Jahr an Bedürftige in Deutschland. 80 Das klingt nach einer enormen Menge. Doch es ist gerade mal ein winziger Bruchteil der 20 Millionen Tonnen Lebensmittel, die in Deutschland jährlich im Müll landen. Die Deutsche Gesellschaft für Konsumforschung hat ausgerechnet, dass deutsche Privathaushalte Lebensmittel im Wert von fast 20 Milliarden Euro in den Müll schmeißen, darunter viele Lebensmittel, die noch eingeschweißt sind. 81 Durch die extrem niedrigen Preise und das groteske Überangebot an Waren, mit denen die Handelsketten ge geneinander konkurrieren – ein Rewe-Supermarkt hat bis zu 40 000 unterschiedliche Artikel im Sortiment – werden die Konsumenten dazu verleitet, viel zu viele Lebensmittel zu kaufen, die schließlich im Kühlschrank vergammeln. In einem Zeitraum von nur zehn Jahren hat die Anzahl der angebotenen Waren in den deutschen Supermärkten um 130 Prozent und die der Produktvarianten sogar um 430 Prozent zugenommen. Seit den siebziger Jahren sind die Müllberge um 50 Prozent gewachsen. 82
    Der Großteil der Lebensmittel schafft es aber gar nicht erst ins Supermarktregal, er wird schon auf dem Acker vernichtet oder gar nicht erst geerntet, weil der Lebensmittelhandel nur optisch standardisierte Produkte annimmt. Die Gründe dafür sind mitunter erschütternd banal: So lassen sich etwa Kisten, in denen ausschließlich gerade geformte Gurken liegen, besser stapeln. 83 Solche Kriterien bestimmt einzig der Handel, der es mit seinen mächtigen Lobbyverbänden geschafft hat, dass die EU -Normen für Obst und Gemüse seinen Bedingungen entsprechen.
    Schätzungen gehen davon aus, dass in Industrieländern insgesamt sogar die Hälfte der produzierten Nahrungsmittel entsorgt wird, während eine Milliarde Menschen weltweit an Hunger leidet und täglich mindestens 20 000 Menschen an Unterernährung sterben. Die Menge der Lebensmittel, die in Europa und Nordamerika vernichtet wird, würde drei Mal reichen, um alle Hungernden der Welt zu ernähren.
    Es gehört zur Politik aller Einzelhandelsketten, ganzjährig die gesamte Warenpalette anzubieten. Spricht man Supermarktverantwortliche darauf an, so zucken sie mit den Schultern und erklären mit weit aufgerissenen Unschuldsaugen, dass es ja »der Konsument« sei, der dies nachfrage, »sonst hätten wir die Sachen ja nicht im Regal stehen«. Beziehungsweise: »Wenn wir das nicht haben, dann gehen die Leute eben woandershin.« 84
    Das Überangebot an Waren ist konstituierend für die Konsumgesellschaft, in der die Wahlfreiheit des Kunden wie ein Menschenrecht gehandelt wird (Stichwort »mündiger Konsument«). Dass es aber tatsächlich ein formulierter Kundenwunsch sein könnte, zwischen 100 verschiedenen Sorten Joghurt zu wählen: schwer vorstellbar. Da es beim Einkaufen im Supermarkt längst nicht mehr nur darum geht, hungrige Menschen satt zu machen, müssen Handels- wie Lebensmittelkonzerne, um überhaupt wahrgenommen zu werden, ganz andere Dinge versprechen als bloß einen vollen Magen. Sie müssen satte Menschen wieder hungrig machen, sprich: neue Bedürfnisse wecken. Lebensmittelkonzerne wie Unile ver, Danone und Nestlé sind inzwischen dazu übergegangen, so genanntes Functional Food auf den Markt zu bringen: Margarine, die den Cholesterinspiegel senken soll. Joghurts, die das Immunsystem stärken sollen. Müslis mit Vitaminzugabe.
    Dazu kommt, dass Supermärkte, die bis zu 40 000 unterschiedliche Produkte auf Verkaufsflächen von mindestens 400 Quadratmetern anbieten, sich von den Discountern absetzen müssen, die nur eine kleine Auswahl – rund 1000 Produkte – billiger verkaufen. 85 So wird aus dem »Vollsortiment« ein Überangebot, das den Konsumenten als anspruchsvoll und »mündig«

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