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Wir müssen leider draußen bleiben

Wir müssen leider draußen bleiben

Titel: Wir müssen leider draußen bleiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Hartmann
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Bundesstaates Tamil Nadu ist geprägt von Wirtschaftswachstum, viele multinationale Großkonzerne haben dort Produktionsstätten, etwa Daimler, BMW und Nokia. Der Handyhersteller geriet im September 2011 in die Kritik, weil er dort fast nur die Hälfte des existenzsichernden Lohns bezahlt. 107 Die trotz Mangel an Belegen von den Wirtschaftsmächtigen hartnäckig verbreitete Theorie des Trickle-down-Effekts scheint sich auch hier allenfalls darin zu zeigen, dass Brosamen nach unten gereicht werden.
    Natürlich werden auch die Foodbanks von den üblichen Verdächtigen unterstützt: Danone, Nestlé, PepsiCola, Unilever, Kellogg, Kraft Foods, Procter & Gamble, dem Pharmakonzern Abbott, der US -amerikanischen Fertiglebensmittelproduzenten General Mills sowie dem Agrarrohstoffproduzenten Cargill. 108 Cargill (Umsatz: 116 Mrd. US -Dollar) gehört neben ADM und Bunge zu den heimlichen Herrschern des Weltagrarmarkts – die drei kontrollieren ein Drittel des globalen Handels mit Agrarrohstoffen wie Soja, Weizen und Futtermitteln. Mit ihren direkten Kunden, etwa den Lebensmittelmultis Coca Cola, McDonald’s, Kellogg, Kraft Foods, Nestlé und Unilever, beherrschen sie den weltweiten Lebensmittelmarkt. Zusammen sind sie wesentlich mitverantwortlich für den Hunger in der Welt. 109 »Cargill. A global force against hunger« lautet der Titel des Magazins Food des Global Foodbanking Network. 110 Ob sich da jemand verschrieben hat? Eigentlich müsste es fast heißen: »A global force against the poor«.
    Hungerarmut auch in Deutschland
    Indem Tafeln diesem Überschuss einen »Sinn« verleihen, erhalten sie das System Konsumgesellschaft, dessen wesentlicher Motor die Verschwendung ist: Sie steht für Fortschritt, Innovation und Zivilisation. Die nie versiegenden Warenströme demonstrieren existenzielle Sicherheit in einer Welt, in der es für eine wachsende Zahl von Menschen immer weniger Sicherheit gibt. Auf gewisse Weise suggerieren auch die Tafeln diese Sicherheit: Mit dem Verteilen des Überschusses wiegen sie die Gesellschaft in dem Glauben, dass in Deutschland keiner hungern müsse. Dabei kaschieren sie geschickt den Skandal der Armut in Deutschland, der für viele bedeutet, dass sie sich von dem wenigen Geld, das ihnen der Staat zukommen lässt, eben nicht ordentlich ernähren können. Das ist besonders fatal, weil die Prominenz der Tafeln verschleiert, dass es Hungerarmut in Deutschland tatsächlich gibt. Bereits Anfang der neunziger Jahre reichte die Sozialhilfe für Lebensmittel im Schnitt nur 19,5 Tage im Monat. 111 Es kann davon ausgegangen werden, dass bei vielen Armen Hungerphasen gegen Ende des Monats vorkommen. Für ihr Kapitel »Hunger in der Überflussgesellschaft« in dem von Stefan Selke herausgegebenen Band Kritik der Tafeln in Deutschland. Standortbestimmungen zu einem ambivalenten sozialen Phänomen hat die Arbeits- und Industriesoziologin Sabine Pfeiffer die verschiedenen Untersuchungen ausgewertet, die es zum Essverhalten von Empfängern von Hilfeleistungen gibt. Sie gelangt zu dem Schluss, dass bei Bedürftigen im Extremfall 130 Tage pro Jahr zusammenkommen können, an denen diese hungern oder sich nur schlecht ernähren können. Sogar vor zehn Jahren gaben 70 Prozent der Sozialhilfeempfänger an, beim Essen zu sparen, bei zwei Dritteln reichte das Geld nicht für eine bedarfsgerechte Ernährung. Laut der Daten des Panels Arbeitsmarkt und soziale Sicherung von 2007 verzichtet fast die Hälfte der Hartz-IV-Empfänger auf eine tägliche Mahlzeit. 112 Im selben Jahr verhungerte ein 20-jähriger psychisch kranker Hartz-IV-Empfänger in Speyer. Weil der Sonderschüler keinen angebotenen Ein-Euro-Job annahm und auch nicht den schriftlichen Aufforderungen folgte, wurden ihm die Bezüge erst um 10, dann um 30 Prozent gekürzt, schließlich erhielt er überhaupt kein Geld mehr. Zuvor war der lernbehinderte junge Mann von Sozialamt in einer Reha-Maßnahme betreut worden. Die Sozialhilfe verpflichtet den Träger zur Fürsorge, auch wenn kein Antrag gestellt wurde. Betreuer suchten Menschen zu Hause auf, um sich ein Bild von ihrem Alltag und ihren Problemen zu machen. Das Einzige, was bei Hartz IV ins Haus kommt, sind Schriftstücke mit Drohungen und Aufforderungen. Es gehört zum Prinzip »Fördern und Fordern« des Systems Hartz IV, dass menschliche Schicksale am Schreibtisch verhandelt werden. Wer keinen Antrag stellt, wer seine eigene Bedürftigkeit nicht nachweisen kann, der erhält auch keine Hilfe. »Wer nicht

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