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Wir müssen leider draußen bleiben

Wir müssen leider draußen bleiben

Titel: Wir müssen leider draußen bleiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Hartmann
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Ursachen der Armut stehen dann nicht mehr im Mittelpunkt«, kritisiert Selke.
    Weniger die Bedürftigen kommen in den Medien vor oder die Schande, dass in einem reichen Land wie Deutschland Menschen auf Essensspenden angewiesen sind. Sondern Fotos mit strahlenden Ehrenamtlichen vor Gemüsebergen, Unternehmensvertreter, die überdimensionierte Schecks aus Pappe überreichen, und Politiker, die nur zu gern die Schirmherrschaft übernehmen. Berlins Oberbürgermeister Klaus Wowereit ( SPD ) etwa, der die Bürger Berlins lieber qua einer Wette dazu herausfordert, 50 Tonnen Lebensmittel für die Tafeln zu spenden, anstatt mit politischen Mitteln die Schere zwischen Arm und Reich zu bekämpfen, die in seiner Stadt immer größer wird. 116
    Solche Beispiele machen Schule: Fünf Wochen vor dem 17. Bundestafeltreffen im Mai 2011 in Kassel ging auch Kassels Oberbürgermeister Bertram Hilgen ( SPD ) eine Wette mit Gerd Häuser ein, dem Bundesvorsitzenden der Tafel: Der Schirmherr der Veranstaltung wettete, dass die Kasseler bis zum Treffen der Ehrenamtlichen mindestens elf Tonnen haltbare Lebensmittel wie Reis, Nudeln, Kaffeepulver, Babynahrung oder Konserven für die Tafel spenden würden. 37 Tonnen kamen schließlich zusammen. Sie wurden nach der Konferenz an der öffentlichen »Langen Tafel« ausgegeben, die der Ver band bereits als Tradition feiert. »Der Zusammenhalt in unserer Stadt ist sehr groß. Es überrascht mich, dass das Ergebnis der Stadtwette um mehr als den Faktor drei übertroffen wurde«, freute sich Hilgen. 117
    Dabei kann in Sachen Armut von gesellschaftlichem Zu sammenhalt keine Rede sein. Was die meisten Deutschen wirk lich denken, spürt man, wenn man etwa das Wort »Arme« durch »Arbeitslose« oder »Hartz IV-Empfänger« ersetzt. Dann verwandelt sich Mitgefühl schnell in Schuldzuweisung. Das belegt auch die Studie »Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit«: Danach sind 52,7 Prozent überzeugt, dass die meisten Langzeitarbeitslosen nicht wirklich daran interessiert sind, einen Job zu finden. 118
    Zu ihrem 15. Geburtstag ließ die Münchner Tafel einen Bildband drucken. Die Armen, so scheint es nach Lektüre dieses »Making Of«, spielen vor allem eine Statistenrolle im Ehrenamts-Blockbuster. Auf den Fotos sieht man tapfer lächelnde Tafelbesucher, die sich von freundlichen Tafelmitarbeitern die Taschen füllen lassen. Die notdürftig improvisierten Transportmittel, klapprige, mit Tüten überladene Kinderwagen und von Expandern zusammengehaltene Obstkisten auf Trolleys, erscheinen hier weniger als augenfälliger Beleg für Mittellosigkeit und Verzweiflung, sondern als ästhetische Objekte, die das Bilderbuch zieren. Pittoreske Armut, Carl Spitzweg und sein »armer Poet« lassen grüßen. Es sind solche Darstellungen, die Selke im Kopf hat, wenn er sagt: »Armut ist dann kein Skandal mehr, sondern bei den Tafeln gut aufgehoben.«
    Die Tafeln und die Politik
    Im Vorwort lobt auch Münchens Oberbürgermeister Christian Ude ( SPD ) die Arbeit der Tafeln als eine »nicht mehr wegzudenkende Säule des sozialen Lebens in München und des sozialen Friedens in der Stadt«. Frieden vor allem für diejenigen, die (noch) nicht zum stetig wachsenden Heer der Armen gehören. Selbst in der reichen Stadt München sind 13,4 Prozent der Menschen von Armut betroffen und auf Hilfe angewiesen. 119
    Wenn Politiker die Tafeln als »unverzichtbar« loben, kann man das zugleich als Bankrotterklärung der Politik verstehen. Denn deren Aufgabe wäre es, soziale Gerechtigkeit zu garantieren. Doch stattdessen spendieren Stadtobere lieber Kartonpressen, stellen Gebäude zur Verfügung, lassen Gehwege für die Ausgabestellen sperren, subventionieren Arbeitsplätze oder spenden den Tafeln Geld. In manchen Gemeinden gründen Bürgermeister sogar selbst Tafeln; in Aachen wurde die Gründung vom Leiter des Sozialamts angeregt. In Leipzig haben die Tafeln, so Stephan Lorenz, ganze Gebäudekomplexe von Architekturbüros für sich ausbauen lassen – unterstützt mit öffentlichem Geld. Gleichzeitig aber hat die Stadt Leipzig über Jahre hinweg den Hartz IV-Empfängern zu wenig Mietzuschüsse bezahlt. 120 Und in Nürnberg, so Tafelbundesvorstand Gerhard Häuser, hat die Stadt der Tafel ein Haus überlassen. Dafür zahlt die Tafel zwar Miete, doch einen Teil davon bekommt sie als Spende zurück. 121 An einer Ausgabestelle der Münchner Tafel regt sich eine alleinerziehende Mutter über genau solche Mauscheleien auf. »Wieso gibt unser

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