Wir müssen leider draußen bleiben
Bürgermeister das Geld den Tafeln? Wenn Geld da ist – warum gibt er das nicht uns? Warum fragt uns niemand, was wir wirklich brauchen?«, fragt die müde wirkendende Mittvierzigerin, die ihrer Tochter beim besten Willen keine neuen Turnschuhe für den Sportunterricht kaufen kann. Ihre Nachbarin, eine gepflegte Frau gleichen Alters, ebenfalls alleinerziehende Hartz-IV-Empfängerin, ärgert sich derweil über den zurechtweisenden Tonfall in einem Brief vom Arbeitsamt: Man hat ihr einen lächerlichen Betrag zu viel überwiesen, elf Euro, die sie nicht postwendend zurück gegeben habe. »Man wird behandelt wie eine Kriminelle«, sagt sie. Die Frau, die nicht weiß, von welchem Geld sie die kaputte Waschmaschine ersetzen soll, fügt an: »Wissen Sie, Armut ist ein Spießrutenlauf. Da kommt man nicht mehr raus.«
Auf eine Anfrage der Linken im Bundestag hin bezeichnete die Bundesregierung 2006 die Tafeln als »herausragendes Bei spiel für zivilgesellschaftliches Engagement«. 122 Die Regierung ging davon aus, dass durch die Tafeln »Menschen geholfen wird, die über die staatliche Sozialpolitik nur unzureichend erreicht werden«. Die Tafeln seien aus diesem Grund »eine wichtige Ergänzung der vorhandenen staatlichen Hilfen«. So kaschiert die Politik ihr eigenes Versagen; bürgerliches Engagement zu fördern soll den Abbau von Sozialleistungen wettmachen. Mit Gesetzen wie dem »zur weiteren Stärkung des bürgerlichen Engagements« entledigt sich die Politik ihrer ureigenen Aufgabe, Teilhabe so, wie sie im Grundgesetz steht, politisch zu garantieren.
»Es ist ein großes Glück, dass es die Tafeln gibt. Die Tafelbewegung ist ein wunderbares Beispiel für bürgerschaftliches Engagement«, schwärmt Katrin Göring-Eckardt, Grünen-Politikerin und Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, in einem Essay in Stephan Lorenz’ Buch Tafelgesellschaft : »Tafeln sind Antworten auf das zunehmende Problem von Armut. (…) Aber welche Menschen sind überhaupt angewiesen auf die Tafeln? Menschen, die in eine soziale Notlage geraten sind, die einfach weniger Chancen im Leben hatten als andere.« 123 Könnten das eventuell dieselben sein, die von der rot-grünen Bundesregierung mit Einführung der Hartz-Gesetze in ausweglose Armut gestürzt wurden? Und hat nicht Göring-Eckardt die Agenda 2010 mitbeschlossen, jenes »Konglomerat zur umfassenden Zerstörung aller sozialen Sicherungen und Rechte der Menschen in Deutschland«, wie die ehemalige Grü ne Jutta Ditfurth in ihrem Buch Krieg, Atom, Armut. Was sie reden, was sie tun: Die Grünen schreibt? 124 Aber gewiss doch. »Daher sind Tafeln auch Orte der Mahnung. Sie zwingen uns, hinzusehen und die Schwächsten unserer Gesellschaft nicht aus dem Blick zu verlieren. Sie sind auch Mahnung, Politik für die zu machen, die keine starke Lobby haben«, so Göring-Eckardt. Jedenfalls haben sie keine Lobby bei der neuen Elite partei der Grünen, die ihre Wähler mittlerweile aus der gehob enen Mittelschicht rekrutiert. In einer Erklärung der damali gen Regierungspartei hieß es 2003: »Die Gesetzesentwürfe Hartz III und IV im Rahmen der Agenda 2010 sehen wir durchaus kritisch. Dennoch stimmen wir dem Gesetzespaket zu. (Es) wer den viele andere Bezieher (…) von Arbeitslosenhilfe erhebliche Einkommenseinbußen erleiden. Das müssen wir leider in Kauf nehmen.« 125 Leider, leider. Es tut uns selbst ja am meisten weh!
Zwar kritisiert der Bundesverband der Tafeln, der Mitglied im Deutschen paritätischen Wohlfahrtsverband ist, in Pressemitteilungen immer wieder derartige politische Entscheidungen und plädiert außerdem für einen Mindestlohn. Doch gleichzeitig schrieb Gerd Häuser anlässlich des 15-jährigen Bestehens des Bundesvorstands im Jubiläumsheft: »Wir würden uns wünschen, dass wir von der Politik als notwendiger Teil unseres Sozialsystems anerkannt und die entsprechende Unterstützung erhalten würden.« 126
Ein fatales Signal: Schon jetzt bekommen Bedürftige in Sozialämtern wortlos Zettel mit der Anschrift der örtlichen Tafel in die Hand gedrückt anstatt genügend Geld, um ein Leben in Würde zu führen. Im September 2011 wies das Sozialgericht Mannheim die Auffassung der Stadt Heidelberg zurück, die Asylbewerbern die Sozialleistungen kürzen wollte, weil sich diese ja kostenlos bei der Heidelberger Tafel versorgen könnten. 127 Die Stadt Heidelberg hat gegen den Beschluss Be schwerde beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. 2005 regte
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