Wir müssen leider draußen bleiben
Straßenrevolten getrieben, werden erschossen, weil der anspruchsvolle westliche Kunde auch noch um kurz vor acht Uhr abends zwischen Vollkornbrot, Sonnenblumenbrot, Kartoffelbrot, Krustenbrot, Ciabatta, Baguette und Frühstückscroissant wählen können soll.
Das Verteilen des überflüssigen Essens an die bedürftigen Besucher der Tafeln unterstützt im Grunde die Überproduktion und die Wirtschaftsweise der Handelsketten, die ihren Profit nur darauf gründen. Es ist ein Grund, warum sie ihr Engagement bei den Tafeln so sehr betonen: Das soll belegen, dass die Handelsketten »verantwortungsvoll« mit Lebensmitteln umgehen. Sie suggerieren, dass sie den gesamten Überschuss den Tafeln spenden. Wie viel wirklich bei den Tafeln landet und wie viel weiterhin im Müll, das verschweigt der Handel wohlweislich. »Die Zahlen gibt es, aber sie werden nicht veröffentlicht. Jeder Supermarkt scannt die Produkte, die rein- und rausgehen. Die Differenz besteht hauptsächlich aus der Menge, die weggeworfen werden muss«, sagt Valentin Thurn. Auf Anfrage von Thurn und Kreutzberger beim Bundesverband des Deutschen Lebensmitteleinzelhandels behauptete der Hauptgeschäftsführer Michael Gehrling, dass Supermärkte nur ein Prozent des Nettoumsatzes wegwürfen. Beim Gemüse seien es fünf Prozent. Laut Hauptverband des Deutschen Einzelhandels würden 150 Tonnen jährlich an die Tafeln gespendet. 92 Das ist in etwa die Menge, die allein die Münchner Tafel angibt, jede Woche zu verteilen. 130 000 Tonnen Lebensmittel teilen die Tafeln insgesamt pro Jahr aus. Einer von beiden muss sich da gehörig verrechnet haben.
Indem die Supermarktketten willkürliche Mengen an die Tafeln spenden, halten sie ihre »Entsorger«, die auf deren Spenden angewiesen sind, wohl bei der Stange. Manchmal hinterlässt ein Supermarkt nur kleine traurige Haufen, die in drei Gemüsekisten passen, manchmal füllen die bereitgestellten Kartons mit einwandfreier Premiumware den halben Transporter. Das verhindert Kritik. Schließlich wollen ja die Tafeln nach Selbstauskunft »auf den Überfluss aufmerksam machen«. So kommt es, dass die Tafeln ein knappes Spendenangebot als ihr Verdienst ansehen: »Wir kriegen sehr viel weniger von den Firmen, weil sie kapiert haben, wie viel sie eigentlich nicht verkaufen. Das schreiben wir uns zu. Das halte ich für den wesentlichen Gradmesser für unseren Erfolg«, sagt Sabine Werth von der Berliner Tafel. Tatsächlich weiß kein Mensch, wie viel die Supermärkte wirklich wegschmeißen.
Zu den Tafel-Sponsoren gehören neben der Rewe Group auch die Handelsriesen Edeka (Umsatz: 43,5 Mrd. Euro), Metro (30,6 Mrd. Euro), Lidl (42 Mrd. Euro) und Aldi (41,8 Mrd. Euro). Diese fünf Handelsketten bestreiten 90 Prozent des Lebensmittelmarkts in Deutschland. Der Marktanteil der Discounter beträgt mittlerweile 45 Prozent. 93 Auf einem gesättigten Markt wie dem deutschen macht man Profite fast nur noch über den Aufkauf von Märkten oder qua Verdrängung durch einen gnadenlosen Preiskampf. Deutschland gilt international als der härteste Markt mit einem extrem niedrigen Preisniveau: Die Schlacht um Marktanteile ist eine um den niedrigsten Preis und um die größten Ladenflächen. »Wer seine Lieferanten am meisten bei den Preisen drückt oder ihnen unfaire Einkaufspraktiken diktiert, steht im knallharten Wettbewerb besser da. Jeder versucht, den anderen zu unterbieten«, schreibt die Initiative Supermarktmacht, ein Zusammenschluss von 23 Nichtregierungsorganisationen. 94
Der Druck kommt direkt bei den Lebensmittelproduzenten an. Menschenrechtsverletzungen sind am zweithäufigsten in der Lebensmittelproduktion zu finden. Endstation Laden theke heißt eine Untersuchung, in der die Hilfsorganisation Oxfam am Beispiel von Ananas und Bananen aus Costa Rica und Ecuador den verheerenden Einfluss der Marktmacht dieser fünf Konzerne be legt, die nicht nur in Europa, sondern auch weltweit expandieren. 95 Weil jedes Unternehmen innerhalb der langen Lieferkette den größtmöglichen Teil der Wertschöpfung für sich haben möchte, gehen diejenigen, die die Lebensmittel herstellen, fast leer aus. Die Konzerne Chiquita und Dole, die die großen Supermärkte beliefern, geben ihren Arbeitern nur zwei- bis dreimonatige Verträge, damit sie sich um Sozialabgaben drücken können. Bis zu 72 Stunden, in Extremfällen bis zu 84 Stunden pro Woche schuften die Bananen-Arbeiter in Ecuador, Überstunden werden meist ohne Aufschläge oder überhaupt nicht
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