Wir müssen leider draußen bleiben
die Stadt Bochum an, Hartz-IV-Beziehern, die die Tafeln nutzen, ihre Bezüge zu kürzen, weil Sachleistungen auf den Hilfe bedarf angerechnet werden müssten. Diese Äußerung des Leiters der Bezirksverwaltung Wattenscheid in einem Fern sehinterview sorgte für Empörung. Wie kann man den Armen nicht mal die geschenkte Butter auf dem Brot aus dem Müll gönnen? Schnell beschwichtigten Politiker und Verwaltung: Natürlich würden Tafelspenden nicht auf die Hilfen angerechnet, der Mann habe Quatsch erzählt. Dabei hat er aber auf etwas Wesentliches hingewiesen: nämlich darauf, dass Verteilungsgerechtigkeit Sache des Staates ist und nicht die Sache Freiwilliger werden darf, die willkürlich Care-Pakete schnüren. Man habe schließlich kein Sozialsystem wie in Amerika, sagte er ebenfalls im Interview. 128
Auf solche Kritik reagieren die Tafeln überaus empfindlich. Bundesvorstand Gerd Häuser sagt dann etwa: »Hauptaufgabe der Tafeln ist es nicht, Politik zu machen. Politik machen die Politiker. Wir wollen keine Partei werden.« Oder: »So lange die Tafeln da sind, gibt es schlechtes Gewissen. Deswegen sind die Politiker ja auch so freundlich zu uns.«
Vor allem aber profitiert die Politik noch auf ein ganz andere Art und Weise von den Tafeln: Rund zehn Prozent der dort Beschäftigten sind Ein-Euro-Jobber. Ohne sie könnten die Tafeln den logistischen Aufwand gar nicht bewältigen. »Der Einsatz der staatlich subventionierten Billigjobber bei den Tafeln trägt dazu bei, die Arbeitslosenstatistik zu schönen und gleichzeitig die schlimmsten Folgen der politisch inten dierten Armut einzuhegen«, schreibt Luise Molling in Lorenz’ Band Tafelgesellschaft . 129
Stephan Lorenz sagt: »Die Tafeln sagen zwar, sie sind politisch. Aber es wird weiterhin nur gesammelt und verteilt. Nach fast zwanzig Jahren fragt man sich schon: Wo bleibt denn die politische Initiative? Kommt die noch?«
Es ist ein Problem der Tafeln, dass sie sowohl die Anerkennung der Politik als auch die der Konzerne suchen. Das sorgt nicht eben für die nötige Distanz, um Kritik an beiden üben zu können. »Wenn man sich selbst als Teil der Sozialpolitik versteht, dann kann man das nicht mehr als Protest bezeichnen«, meint Lorenz. So würden sich die Tafeln eher mit den Unternehmen und den Vertretern der herrschenden Sozialpolitik gemein machen, als Solidarität mit den Armen zu üben. Dabei wäre es durchaus möglich (und auch sinnvoll), wenn die Tafeln zu einer politischen Stimme würden. Das findet auch die Gründerin der Berliner Tafel, Sabine Werth, die sich selbst als größte Kritikerin der Tafeln bezeichnet. Doch selbst ihre Kritik wird beim Bundesverband nicht gern gehört.
Wenn man Sabine Werth besucht, geht man durch die Halle des Berliner Großmarkts. Wüsste man nicht, dass hier die Lebensmittel für die Tafeln sortiert werden, könnte man denken, es sei ein normaler Gemüsegroßhandel, so gigantisch sind die Dimensionen der Essensverteilung in der Hauptstadt. Palettenwagen fahren zwischen den endlosen Türmen von Gemüsekisten, Dutzende Helfer sortieren hier die Ware. Durch ein Treppenhaus, dessen Wände tapeziert sind mit unzähligen symbolischen Pappschecks von Banken, Handelsketten und Unternehmen, gelangt man schließlich in Werths Büro. Sabine Werth ist Sozialpädagogin, neben ihrer Tätigkeit als Tafelchefin betreibt sie die Familienpflege Werth, in der Mütter und Kinder in schwierigen Situationen Unterstützung im Haushalt bekommen. Für ihre Arbeit bei den Tafeln hat Werth bereits das Bundesverdienstkreuz und das Verdienstkreuz des Landes Berlin bekommen.
1993, »Lichtjahre vor Hartz IV«, gründete Werth die Berliner Tafel, nachdem sie bei einem Vortrag von der New Yorker Organisation »City Harvest« gehört hatte, die übrig ge bliebenes Essen an Obdachlose verteilte. Nach diesem Vorbild gründete sie damals die Tafel, um die Obdachlosen Berlins zu versorgen, die durch alle sozialen Netze gefallen waren. Sie wehrt sich deshalb gegen das Argument, die Tafeln seien für Hartz-IV-Empfänger ins Leben gerufen worden. Heute, wo diese sich zu einer großen Anzahl über die Tafeln versorgen müssen, sieht auch Werth, die etwa für ein bedingungsloses Grundeinkommen plädiert, die Pflicht der Tafeln in politischem Engagement: »Wir sind 87 7 Tafeln in Deutschland, das ist doch nicht mehr irgendwas. Wir müssen uns unserer Macht bewusst werden. Die Politik muss wissen, dass wir gefährlich sein können – gerade weil wir so eine
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