Wir müssen leider draußen bleiben
große Anerkennung haben. Aber einen Umschwung der Tafeln in Richtung Politik sehe ich überhaupt nicht.« Sie kritisiert ebenfalls den Bundesverband: »Wir brauchen endlich ein offizielles Tafelstatement, das wir in einer Gruppe schon entwickelt haben, was von allen Landesverbänden noch verabschiedet werden muss. Da steht zum Beispiel eindeutig drin, dass sich die Tafeln politisch verhalten müssen. Damit stehen wir allein auf weiter Flur.«
Warum also nicht die große Menge der Menschen, die sich an den Tafeln begegnen, zum Protest mobilisieren? 877Tafeln, eine Million Besucher, 50 000 Ehrenamtliche, Sozialverbände wie die Caritas, die Träger von beinahe der Hälfte der Tafeln ist – an Potenzial mangelt es nicht. Doch darauf angespro chen, reagiert Häuser entrüstet: »Wir können doch nicht sagen: wenn du nicht protestierst, dann kriegst du nichts zu essen. Mich würde es ja schon freuen, wenn unsere Kunden mal wählen gingen. Menschen, die um ihre tägliche Existenz kämpfen, haben doch gar keine Lust zu demonst rieren. Meinen Sie, eine alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern hat noch großartig Lust, auf die Straße zu gehen?«
Das allerdings müsste man schon die alleinerziehende Mut ter mit zwei Kindern selbst fragen. Offenbar tut das aber keiner. Das zeigt, wie weit die Tafeln vom Alltag und dem Bewusstsein der Menschen entfernt sind, die sie zu vertreten vorgeben. Armut bedeutet neben dem gesellschaftlichen immer auch einen politischen Ausschluss. Zu sagen, die Armen würden gar nicht demonstrieren wollen, ist nicht nur bevormundend, sondern treibt diesen Ausschluss weiter voran.
Kritik unerwünscht
Wann immer sie kritisiert werden, halten die Tafeln die tolle Arbeit der Ehrenamtlichen und die praktische Hilfe – »Wir tun was!« – wie einen Schutzschild hoch. Häuser beschreibt das »Wunder der Tafeln« – geht’s noch größer? – damit, dass diese das Zusammentreffen der Gesellschaftsschichten organisieren. Doch von einem Treffen auf Augenhöhe kann kaum die Rede sein, schließlich verabredet sich der ehrenamtlich enga gierte, pensionierte Richter mit dem Hartz-IV-Empfänger nicht zum Kaffee. Die Rollen sind klar verteilt: Es gibt die, die nehmen, und die, die geben. Dass die Ehrenamtlichen ihr Selbstbewusstsein daraus ziehen, auf der richtigen Seite derTafel zu stehen, merkt man daran, wie beleidigt sie auf Kritik reagieren. Die Ehrenamtlichen, sagt Werth deshalb, die könne man nicht politisieren. Sobald man das täte, sähen diese ihre Arbeit infrage gestellt. »Wenn ich eine knallharte politische Aussage mache, gelte ich als Nestbeschmutzerin. Das geht ganz schnell. Dabei könnten wir viel mehr erreichen, wenn es diese Empfindlichkeiten nicht gäbe.«
Von Wirtschaft über Politik erfährt das ehrenamtliche Engagement der Tafeln Anerkennung. Kritik trifft deshalb zuallererst auf Empörung. Der Soziologe Stefan Selke wird in den Medien vor allem als »Tafelkritiker« wahrgenommen. In Talkshows wie etwa bei »Anne Will« wird ihm meist die Rolle des ewigen Nörglers zugewiesen, der »die größte soziale Bewegung unserer Zeit« madig machen möchte und die ehrenamtliche Arbeit derer diffamiert, die »wenigstens etwas tun«. In der Tafelszene gilt Selke als Feind – dabei ist er der bislang Einzige, der Gegner und Befürworter zu Diskussionen zusam men bringen möchte. Zu diesem Zweck hat Selke das »Tafel-Forum« 130 ins Leben gerufen, eine Diskussionsplattform im Internet, und das erste Tafelsymposion veranstaltet, zu dem sowohl Kritiker als auch Ehrenamtliche geladen waren. In einem Gastbeitrag im evangelischen Magazin Chrismon bezeichnete Selke die Tafeln als »Pannendienst der Gesellschaft«, weil sie, statt Armut zu bekämpfen, »lediglich helfen, die Armut zu bewältigen«. In der nächsten Ausgabe rückte Herrmann Gröhe ( CDU ), Staatsminister der Bundeskanzlerin und Herausgeber von Chrismon, Selkes Kritik wieder gerade: »Die Armut in unserem Land darf nicht nur mit Rechtsansprüchen auf staatliche Leistungen bekämpft werden – so notwendig diese als Grundlage bleiben.« 131 Selkes Stellungnahme dazu wiederum wurde nie abgedruckt.
»Tafeln sind Teil des ideologischen Wandels der Betrach tung von Armut«, sagt der Soziologe. »Sie sind im Begriff, Prototyp der neuen Freiwilligengesellschaft zu werden.« In einer solchen würden einklagbare Rechtsansprüche schleichend durch eine unverbindliche Almosenökonomie ersetzt. Barmherzigkeit statt Bürgerrechte. Der Philosoph Peter
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