Wir müssen leider draußen bleiben
eine Kiste gepackt, warum bekomme ich das nicht, ihr wisst das doch?« keift sie, den Tränen nahe, die erschrockene Ehrenamtliche an. Natürlich möchte man sich als Freiwilliger, der jede Woche auch bei Schnee, Regen und Eiseskälte stundenlang harte Arbeit für die Bedürftigen leistet, nicht auch noch anpfeifen lassen. Das ahnt vermutlich auch die Ein-Euro-Jobberin. Doch ihre Verletzung, nach einem Tag voller Demütigungen gerade dort benachteiligt zu werden, wo es Zuspruch und Gerechtigkeit geben soll, wiegt einfach schwerer.
Der »Kontakt auf Augenhöhe« zwischen den Schichten ist vermutlich der größte Mythos, den die Tafeln verbreiten. Die Ehrenamtlichen solidarisieren sich eben nicht mit den Armen – sie geben ihnen Essen. Wenn sie Dinge sagen wie »wir sind wie eine Familie«, dann meinen sie ihr Verhältnis zu den anderen Ehrenamtlichen. Nicht zu den Bedürftigen. Für viele Ehrenamtliche sind die Tafeln eher Orte der Selbstverwirklichung: Die regelmäßige Arbeit bei den Tafeln strukturiert auch ihrenAlltag. Außerdem ist das Engagement dort vergleichsweise harmlos und einfach: Man muss sich nicht von hoffnungslosen Obdachlosen, Drogenabhängigen oder krimi nellen Jugendlichen runterziehen lassen, sondern leistet »Hilfe, die ankommt«. Nämlich in den Einkaufstaschen Bedürftiger. »Demonstratives Helfen«, nennt Selke die Tafelarbeit deshalb. Ehrenamtliche bei der Tafel haben mit Leuten zu tun, die auf ihrer Augenhöhe sein könnten , die ihnen prinzipiell ähnlich sind, aber einfach Pech hatten. Gut möglich, dass viele sich durch ihre Tafelarbeit selbst versichern, noch auf der richtigen Seite des Tisches zu stehen. Denn die Rolle zwischen den Gebenden und Nehmenden ist klar: Die eine stehen vor, die anderen hinter der Tafel. Tafelnutzer sind, um einen Begriff des Soziologen Georg Simmel zu verwenden, »Objekte der Fürsorge«. Die dürfen dankbar dafür sein, dass ihnen so selbstlos geholfen wird. Es gibt durchaus einen Grund dafür, dass die Bedürftigen es geheim halten, wenn sie zur Tafel gehen, während die Ehrenamtlichen ihre Arbeit stolz in die Welt posaunen.
Auch Elisabeth Müller ist heute dankbar. Sie hat das Schnäppchen des Tages gemacht und freut sich über eine Kiste angematschter Tomaten, die sie zufällig unter einem der Tafelt ische entdeckte. Die Ehrenamtlichen haben sie dort aufgehoben. Für alle Fälle. Frau Müller wird daraus Tomatensoße kochen und einfrieren. Für noch schlechtere Zeiten.
* Name geändert
** Name geändert
*** Name geändert
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***** Namen geändert
» Die Menschen wollen unter sich sein und gehen dafür über Leichen.«
Blumfeld, »Die Diktatur der Angepassten«
3. Von der Gentrifizierung zur Gated Community
Wie in den Städten Arme durch Wohlhabende verdrängt werden und warum die Politik dies befördert
Der Hauseingang im Neubau Schwedter Straße 3 7 – 40 in Berlin wirkt so steril wie ein Neubau nur wirken kann. Die Wände sind weiß getüncht, der Steinboden in hellem Beige gehalten. Ich stehe in einem bereits fertiggestellten Gebäude des Marthashofs, einem weiteren Luxuswohnkomplex, der gerade im Prenzlauer Berg auf dem ehemaligen Mauerstreifen entsteht. Über der Reihe Briefkästen ist eine lange rechteckige Vitrine in die Wand eingelassen, darin eine verträumte Bastelei, die angesichts der kühlen Aufgeräumtheit des Ortes reichlich kitschig wirkt: Über stilisierte Hügel aus geschichteter Wellpappe fliegen gefaltete weiße Papiervögel.
Anna-Maria Gebhardt lächelt beseelt beim Anblick dieser Lichtinstallation, die den Bewohnern des Marthashofs ein »Willkommensgefühl« vermitteln soll. Sie ist Pressesprecherin des Projekts und verrät: »Der Künstler hat sich von Hans Christian Andersens Märchen Die wilden Schwäne inspirieren lassen.« Sentimental und unschuldig: So klingen auch ihre Ausführungen darüber, wie familienfreundlich die Anlage samt Vorgärtchen und Gartenpark doch ist, wo Kinder »ein geschütztes Zuhause mit Freiraum zum Spielen« finden sollen.
»Die elf Brüder waren Prinzen und gingen mit dem Stern auf der Brust und dem Säbel an der Seite in die Schule. Sie schrieben mit Diamantgriffeln auf Goldtafeln und lernten ebenso gut auswendig, wie sie lasen; man konnte gleich hören, dass sie Prinzen waren. Die kleine Schwester Elisa saß auf einem kleinen Schemel von Spiegelglas und hatte ein Bilderbuch, das das halbe Königreich gekostet hatte. Oh, die Kinder hatten es sehr gut.« 150 So beginnt
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