Wir müssen leider draußen bleiben
sanktioniert. Wer die Ehrenamtlichen nicht gut behandelt, wer zu laut auf seine (nicht vorhandenen) Rechte pocht oder mehr mals unentschuldigt fehlt, dem wird die Zugangsberechtigung entzogen. Spätestens wenn sich Ehrenamtliche zu Freizeitpädagogen aufschwingen, kommt das Hierarchiegefälle, zwischen den beiden Seiten der Tafel wieder deutlich zum Vor schein. »Wir nennen die Leute Gäste und nicht Kunden. Und ›Gäste‹ beinhaltet: Sie sind bei uns willkommen, müssen sich aber auch entsprechend benehmen. Und wer sich als Gast schlecht aufführt, dem darf man auch sagen: Bitte kommen Sie nicht mehr«, sagt Kiethe und beschreibt unfreiwillig sinnfällig die düstere Seite des strahlenden Ehrenamts und der Freiwilligkeit: Die Menschen werden in »gute« und »schlechte« Arme unterteilt – Armut wird moralisiert. Es gibt Opfer, und es gibt Schmarotzer. So reproduziert und zementiert die Tafel die gesellschaftlichen Machtverhältnisse von oben und unten, von drinnen und draußen. Tafeln sind die philantropisierte Version von: Wer zahlt, schafft an.
Apropos anschaffen: Die Tafel in Darmstadt hat ein Haus verbot gegen Prostituierte eines nahe gelegenen Straßenstrichs verhängt. »Das ist eine bestimmte Klientel, die wir nicht wollen«, begründete die Leiterin Doris Kappel diesen Schritt in der Frankfurter Rundschau . Die Frauen, die Hartz IV bezie hen, durften dort nicht mehr zu Mittag essen, weil sie Zuhälter und Freier anzögen und sich auf den Toiletten frisch machten. Es sei, so eine Tafelmitarbeiterin, unzumutbar, dass Mütter und Kinder mit Freiern und Prostituierten (also: die guten mit den schlechten Armen) zu Mittag essen sollen. 148 Eine andere Tafel in einer bayrischen Kleinstadt wiederum erteilte einem Besucher Hausverbot, weil er einen Teil seines Essens, das er dort geholt hatte, an diejenigen verschenkte, die nicht so viel abbekommen hatten. Wer gibt und wer nimmt, ist schließlich Sache derTafeln.
Es ist kein Zufall, dass es die meisten Tafeln nicht dort gibt, wo die Armut besonders groß, sondern wo die Kluft zwischen Arm und Reich besonders tief ist: Meist sind es die Wohlhabenden, diejenigen, die von den ungerechten Strukturen profitieren, die mit der Gründung und dem Betrieb einer Tafel »etwas zurückgeben« möchten.
Auf dem Hof der Kirche im Münchner Osten ist die Ausgabestelle fertig aufgebaut. Etwas erschöpft lächeln die Ehrenamtlichen, die schon seit gut drei Stunden aussortiert, aufgeladen und Stände aufgebaut haben. In wenigen Minuten wird sich die Schlange, die sich schon seit einer Stunde vor der Einfahrt gebildet hat, in Bewegung setzen. Ein schwarz glänz endes Oberklasseauto braust an der Schlange vorbei und parkt direkt neben den Biertischen, eine feine Dame steigt aus. Gabriela Schultz trägt eine dunkelblaue Steppjacke, Jeans, Lederstiefel und ein Seidenhalstuch. Ihre große Son nenbrille hat sie ins blonde Haar geschoben. Schultz ist im Vorstand der Münchner Tafel, außerdem ist sie verantwortlich für diese Ausgabestelle. Aber eher sieht sie so aus, als wolle sie gleich in der Maximilianstraße shoppen gehen. Viele Ehrenamtliche stammen aus der sogenannten ersten Gesellschaft. So auch Tafelgründerin Hannelore Kiethe, deren Mann eine große Anwalts kanzlei mit Sitz in München, Brüssel und Berlin führt. Kiethe hat ihren Beruf aufgegeben, als sie Kinder bekam, jetzt sind ihre Söhne erwachsen und aus dem Haus. Also widmet sie sich voll ihrem Ehrenamt: eine Frauenkarriere, wie sie nur in höheren Gesellschaftskreisen möglich ist. Ehrenamtliches Engagement gehört dort zum guten Ton. Mit der selbst formulierten Pflicht zur Mildtätigkeit legitimiert die Elite nicht zuletzt ihren privilegierten Status, denn schließlich gibt sie ja »etwas ab«.
Natürlich nützt den Tafeln der gesellschaftliche Status ihrer Betreiberinnen ganz praktisch: Die verfügen nämlich über beste Kontakte zur Wirtschaftselite und in die Politik. Sie haben es leichter als andere soziale Initiativen, Sponsoren und Spender zu finden. Sogar Erbschaften hat die Münchner Tafel schon bekommen, großzügige Spenden einer Tombola des Golfclubs und Lieferwagen, die der Rotary Club gespendet hat – sein Symbol prangt nun auf der Außenseite der Fahrzeuge. Und natürlich verbessert die enorme öffentliche Anerkennung den Status der Ehefrauen: Sie sind in diesem Fall selbst Unternehmerinnen, ja: Geschäftsführerinnen von erfolgreichen mittelständischen Unternehmen. Ganz ähnlich wie ihre Männer.
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