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Wir müssen leider draußen bleiben

Wir müssen leider draußen bleiben

Titel: Wir müssen leider draußen bleiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Hartmann
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Ihren 15. Geburtstag feierte die Münchner Tafel entsprechend großzügig: Die Stadt stellte den Rathaussaal für eine Ausstellung zur Verfügung, der Kulturreferent hielt eine Rede, weil, so Kiethe, »unsere Arbeit wertgeschätzt wird als Arbeit für die Stadt München«. Gefeiert wurde mit 500 Gästen: Den Mitarbeitern, Ehrenamtlichen und den Sponsoren spendierten Bayerische Landesbank – »ja, ja, die böse, böse Bayerische Landesbank, da kann man mal sehen« (Kiethe) – und Credit Suisse München ein großes Buffet.
    Die Armen selbst waren zu dieser Feier nicht geladen. Aber für die sind 15 Jahre Tafel eher kein Grund zum Feiern.
    Die Ideologie der herrschenden Klasse findet heute ihren Ausdruck in den Tafeln, wo die Brosamen der Bourgeosie an die Armen verteilt werden, als seien wir wieder im 19. Jahrhundert. »Wir hier oben kümmern uns um euch da unten und sagen euch, wie ihr als ordentliche Mittel- und Unterschichtsangehörige leben solltet. Die Frauen leben die Beziehungen, die die von ihnen vorgestellte Gesellschaftsordnung impliziert. Schließlich ist es für die Aufrechterhaltung der hierarchisch gegliederten Gesellschaft nützlich, wenn Menschen, die in der Hierarchie unten stehen, keinen Grund haben, unzufrieden zu sein«, beschreibt Tomke Böhnisch die Intention wohlhabender Frauen, sich ehrenamtlich zu engagieren, in ihrem Buch Gattinnen. Die Frauen der Elite . 149 Spricht man nämlich die Damen darauf an, ob es nicht wesentlich sinnvoller wäre, die Strukturen so zu ändern, dass es keine Tafeln mehr geben muss – indem man etwa eine angemessene Reichensteuersteuer einführt –, schauen manche so konsterniert, als hätte man gerade die Gründung stalinistischer Umerziehungslager vorgeschlagen: »Aber ich bitte Sie – der Staat tut doch wirklich genug für die Leute, mehr geht eben einfach nicht.« Solche Antworten bekommt man dann. Politisch äußern will sich die Münchner Tafel deshalb ausdrücklich nicht, das steht sogar in ihrer Satzung.
    Dankbarkeit als Währung
    Auch Elisabeth Müller kommt heute wieder zum »Einkaufen«. Sie trägt denselben blassrosafarbenen Anorak, Tochter Klara immer noch die schwarze Hose mit Loch am Knie. Zwei ihre kleineren Kinder sitzen im Fahrradanhänger. Gabriele Schultz strahlt, als sie die Familie entdeckt. »Alleinerziehende und Rentner«, sagt Schultz, »die liegen mir besonders am Herzen.« Es sind diejenigen, die offenkundig am wenigsten »falsch gemacht« haben, es sind die »guten« Opfer, die »würdigen Armen«, denen man gern seine Hilfe zukommen lässt. Schulz eilt zu ihrem Auto und verteilt vor den Augen der anderen Eltern kleine Geschenke an die Kinder von Frau Müller. Elisabeth Müller ist der Liebling aller Ehrenamtlichen an der Ausgabestelle: »Eine tolle Frau. So ein Schicksal, aber sie jammert nie! Sie lächelt immer!«, sagt ein Ehrenamtlicher über die ehemalige Ärztin. Dabei hätte sie Grund zur Beschwerde genug. Doch darüber, dass Frau Müller nicht klagt, sondern die erwartete Gegenleistung Dankbarkeit erbringt, freut sich ihr Gegenüber so sehr, dass ihm gar nicht auffällt, wie müde ihr Lächeln manchmal ist. Gebetsmühlenartig wiederholen die Tafelbeschäftigten, dass sie ja nicht nur Lebensmittel verteilten, sondern auch stets ein »offenes Ohr« für die Sorgen ihrer Gäste hätten. Gewiss findet sich manchmal ein bisschen Zeit zum Plaudern. Meistens jedoch schiebt sich die Schlange der Menschen so schnell voran, dass für mehr als »Hallo«, »Wie geht es Ihnen« und »Auf Wiedersehen« gar keine Zeit ist.
    Vor allem aber sorgt persönliches und individuelles Engagement bei den Nutzern für Unmut. Die Münchner Tafel hat zum Beispiel organisiert, dass die Johanniter Gehbehinderte und alte Menschen mit ihren Taschen nach Hause fahren. Prompt riefen andere Nutzer im Büro an und fragten, ob sie ihre Ware auch nach Hause geliefert bekommen könnten. An einigen Ausgabestellen stellen die Ehrenamtlichen, bevor der Ansturm losgeht, Kisten für diejenigen zusammen, die nicht kommen können, weil sie krank sind. Eine liebevolle, eine aufmerksame Geste – die bei anderen jedoch für Neid sorgt.An einer Ausgabestelle steht eine Migrantin in der Schlange, sie sieht sehr erschöpft aus. Eine Ehrenamtliche spricht sie an: »Ist alles in Ordnung bei Ihnen?« Aus der Frau platzt es heraus: Ihre Ein-Euro-Arbeitsstelle liegt so weit entfernt, dass sie oft zu spät zur Tafel kommt und deswegen weniger bekommt als die anderen. »Andere bekommen

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