Wir müssen leider draußen bleiben
Andersens Märchen. Und ungefähr solche Familien sind es, die der Investor, die Stofanel AG , in das »Urban Village« locken möchte. Oder, falls es mit den Royals doch nicht klappen sollte, jedenfalls welche, die mindestens 2 900 Euro pro Quadratmeter hinblättern können, um eine Gartenwohnung, ein Appartement oder ein Penthouse in einem der 17 Gebäude zu kaufen. 130 »Wohneinheiten« (wie es im Maklerdeutsch heißt) der gehobenen Klasse entstehen hier auf knapp 12 380 Quadratmetern, gut 70 Prozent sind im Dezember 2010 bereits verkauft. »80 Prozent der Käufer kommen aus der direkten Nachbarschaft«, sagt Gebhardt wie zur Entschuldigung, denn das Projekt sorgt bei den Anwohnern für Unmut: Es ist nicht das erste Luxusprojekt, das ihnen das Viertel streitig macht. Direkt neben dem Marthashof sind die 37 »Wohneinheiten« der Kastaniengärten bereits verkauft, gleichermaßen die 60 klinisch weißen Häuser im Townhouse-Quartier Prenzlauer Gärten am Volkspark Friedrichshain. Die Choriner Höfe südlich der Kastanienallee und das Palais Kolle Belle am Kollwitzplatz sind bereits etabliert.
Längst ist der Prenzlauer Berg zum Symbol für Gentrifizierung geworden, jenem soziokulturellen und ökonomischen Prozess also, der ehemalige innenstadtnahe Arbeiterviertel mit viel Altbau in Szeneviertel verwandelt. Zuerst kommen die Studenten und Künstler, die sich die damals noch billigen Wohnungen leisten konnten. Sie schaffen eine improvisierte kreative Struktur und locken weitere Nachzügler. Szene-Kneipen, Frühstückscafés, Friseurläden mit originellen Namen, in dividuell gestaltete Kleider- und Klimbim-Boutiquen und eine kreative, hoch individualisierte Bewohnerschaft werten ein Viertel erst kulturell auf, dann ökonomisch. Flair und urbanes Lebensgefühl einer solchen Infrastruktur werden attraktiv für eine besser verdienende Schicht, die Nachfrage lässt die Mieten in die Höhe schnellen, ehedem günstige unrenovierte Altbauwohnungen werden zu luxussanierten Eigentumswohnungen, ältere Menschen, weniger Wohlhabende und Migranten müssen in günstigere Quartiere fern der Innenstadt ausweichen.
Nur noch jeder fünfte Anwohner des Prenzlauer Bergs hat dort den Fall der Mauer erlebt – alle anderen sind später hingezogen: Die Einwohnerschaft hat sich zu 80 Prozent ausgetauscht. 151 Nurmehr ein knappes Fünftel des sind Alteingesessene. Die Anzahl der Bewohner mit Abitur hat sich seit 1990 verdoppelt, in den teuersten Gegenden rund um den Helmholtz- und Kollwitzplatz leben nun zu drei Vierteln Akademiker. In manchen Straßen des Prenzlauer Bergs hat sich die Zahl der Akademiker sogar verfünffacht, 152 während die Arbeitslosenquote im Prenzlauer Berg unter dem Berliner Durchschnitt liegt. Allerdings sind die Unterschiede innerhalb des Prenzlauer Bergs eklatant: Rund um den Kollwitzplatz sind nur 6,4 Prozent arbeitslos, in der Schmuddelecke des Prenzlauer Bergs, wo Plattenbauten den Volkspark säumen, sind es doppelt so viele. Der Migrantenanteil liegt mit elf Prozent nur knapp unter dem städtischen Durchschnitt, allerdings ist es nicht der typische Ausländer, der hier lebt: die größte Migrantengruppe stellen die Franzosen, gefolgt von Italienern, Amerikanern, Briten, Spaniern und Dänen. Edelausländer also, Hochgebildete, mit gut bezahlten Jobs. Der Anteil der Türken beläuft sich hingegen auf 0,3 Prozent. 153 Auch die Alten sind aus dem Viertel verschwunden: der Großteil der Bewohner ist zwischen 25 und 45 Jahre alt – jung, fit, leistungsfähig. Das zeigt vor allem die Einkommensverteilung: Vor 20 Jahren lag das Durchschnittseinkommen im Prenzlauer Berg noch 20 Prozent unter dem Ostberliner Mittel, heute fünf Prozent über dem Durchschnitt Berlins. 1993 lagen die Einkommen im Sanierungsgebiet Prenzlauer Berg noch bei 75 Prozent des Berliner Durchschnitts, heute: fast 140 Prozent. 154
Das spiegelt sich in den Mietpreisen: Am Kollwitzplatz liegen sie für neu vermietete Wohnungen bereits 20 Prozent höher als im Berliner Durchschnitt. Rund um das Wahrzeichen des Prenzlauer Bergs, de n Wasserturm, kosten Eigentumswohnungen bis zu 5000 Euro pro Quadratmeter. In nur fünfzehn Jahren hat sich eines der ärmsten Quartiere der Stadt zu einem der reichsten verwandelt.
Aufstand der Spießerpunks
Noch immer ist Gentrifizierung das Schlagwort, wenn Veränderungen in den Szenevierteln der Städte, etwa im Prenzlauer Berg beschrieben werden. In den Medien wird beharrlich das Feindbild der
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