Wir müssen leider draußen bleiben
»Pornobrillen-Träger«, der Bugaboo-schiebenden Supermütter und der Latte-Macchiato trinkenden »Öko- Schwaben« bemüht, um die »Yuppisierung« und das »Bionade- Biotop« des Prenzlauer Bergs zu monieren oder zu belächeln. Doch dass gerade diese Klischees sich im Mainstream-Diskurs so durchgesetzt haben, belegt nur, dass die Gentrifizierung im Prenzlauer Berg längst abgeschlossen ist. »Das hat viel mit dem Selbstbezug der Mittelschicht zu tun, die dort ja mittlerweile vor allem lebt. Wenn es die Mittelschicht betrifft, dann kommt es in die Medien – denn dort arbeiten ja ebenfalls Angehörige der Mittelschicht«, meint der Sozialwissenschaftler Andrej Holm. Oft gehören gerade die Pioniere der Gentrifizierung zu deren späteren Kritikern: Die schärfsten Kritiker der Elche waren früher selber welche. 155 »Und ihnen fallen vor allem die kulturellen Veränderungen auf«, sagt der 42-Jährige, der sich mit Stadterneuerung und Aufwertungsprozessen beschäftigt. Er unterrichtet Stadt- und Regionalsoziologie an der Berliner Humboldt-Universität und kennt die Entwicklung im Prenzlauer Berg gut. Die Sanierung hat Holm unter anderem im Forschungsprojekt »Veränderte Bedingungen der Stadterneuerung – Beispiel Ostberlin« mit untersucht, unter der Leitung seines Doktorvaters, des Stadtsoziologen Hartmut Häußermann. Mittlerweile, so hat Holm beobachtet, kommt die Gentrifizierungs-Kritik aus den Reihen von saturierten Protestlern: »Nachbarschaftsinitiativen thematisieren heute eher die Lebensqualität als den Vertreibungseffekt durch zu hohe Mieten«, kritisiert er. Schließlich haben die Bewohner, die wegen eines bestimm ten Images an den Prenzlauer Berg oder in ein anderes aufgewertetes Viertel wie Mitte, Kreuzberg oder Friedrichshain gezogen sind, hohe Ansprüche an ihr Wohnumfeld und die Infrastruktur im Viertel. Sie zahlen ja nicht nur für ihre Wohnung, sondern für ihr Lebensgefühl und ihren Lifestyle.
»Wir bleiben alle!« hieß Anfang der neunziger Jahre die Bewegung, die gegen Aufwertung und Vertreibung mobilisierte, und so mancher hatte bereits zu DDR -Zeiten erfolgreich dagegen gekämpft, dass die Gründerzeitbauten rund um die Oderberger Straße abgerissen wurden. Zwar leben nur noch ganz wenige der Kämpfer von früher in dieser Ecke. Doch daran, dass sie sich ihr Viertel zurückeroberten, erinnern noch heute damals gepflanzte Bäume, damals angelegte Hochbeete und damals aufgestellte Bänke. So wurde seinerzeit nicht nur ein kleines grünes Paradies mitten in der Stadt geschaffen, sondern unfreiwillig auch jenes wildromantische Flair, das das Viertel für die neuen Bewohner attraktiv machte. Als das Tiefbauamt Pankow 2007 ankündigte, die Straßen und Gehwege zu sanieren und im Zuge dessen die illegale Bepflanzung zu entfernen, sorgte das für großen Unmut in der Straße. Nicht nur, dass Mieter den Verlust des Idylls vor ihrer Haustür beklagten: manch neuer Wohnungseigentümer sah den Wert seiner Immobilie sinken – und die Betreiber der umliegenden Gastronomie fürchteten um ihre Geschäftsgrundlage, nämlich den besonderen Charme des Viertels, der die viel verspotteten Latte-Macchiato-Trinker anlockte. Es war diese Mischung aus weichen Lifestyle-Ansprüchen und hartem Geschäftsinteresse, die in die Bürgerinitiative Oderberger Straße ( BIOS ) mündete. Sie forderte vehement eine »behutsame Sanierung« – Protest mit Milchschaum vor dem Mund. »Hier geht es nicht mehr um Bewohner, sondern um Bäume und Sträucher«, kritisiert Holm.
»Das Hochbeet vor dem Café Entweder Oder und insbesondere der darin wachsende, malerische Zierapfel ist durch unautorisierte Zerstörung von Wurzelwerk durch eine Baggerschaufel der ausführenden Firma stark beschädigt worden. Das Grünflächenamt argumentiert nun, dass dieses Gehölz nicht mehr standsicher ist und entfernt werden müsste. Die BIOS fordert den Erhalt des Zierapfels.« So lautet eine Forderung der Bürgerinitiative Oderberger Straße. Das klingt in der Tat recht wehleidig und nach NIMBY -Mentalität. »Not in my Backyard«, das ist die britische Bezeichnung für das Sankt-Florians-Prinzip: Leute schreien nur dann laut auf, wenn es umVeränderungen vor der eigenen Haustür geht. Es gibt Dutzende solcher Anwohnerinitiativen in Berlin. Bei manchen scheint der Begriff Gentrifizierung nur noch leere Worthülse für den Kampf für Partikularinteressen zu sein. Denn nicht alle verfolgen so hehre Ziele wie den Erhalt von Bäumen und
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