Wir müssen leider draußen bleiben
ihre Sicht von den Leistungsträgern oben und den sogenannten Leistungsschwachen unten in die Gesetzgebung und in die politischen Diskussionen. Dass die Kosten der Krisen auf die weiter unten abgewälzt werden, ist in diesem Zusammenhang zwangsläufig: Schließlich wollen die Politiker ja nicht den Kreisen, aus denen sie stammen und denen sie sich zugehörig fühlen, Verpflichtungen oder finanzielle Einbußen zumuten. Deswegen wurde schnell klar, dass den Preis für die Finanzkrise der Staat zu zahlen habe und nicht die Spekulanten: »Eine Art Sonderopfer auf ihre Gewinne von vielleicht 20 Prozent oder 30 Prozent hätte schon gereicht«, sagt Michael Hartmann. Doch den Sozialstaat abbauen, der ja nur den Schmarotzern dient – »das passt ins Weltbild der Elite.« Und in das vieler Bundesbürger . 242 Diese Überzeugung traf man auch überwiegend an, als es um die Rettung der »Pleitegriechen« ( Bild ) ging: Die Empörung richtete sich nicht etwa dagegen, dass milliardenschwere Reeder jahrzehntelang praktisch keine Steuern bezahlt hatten. Nein, der faule Südländer war das Problem. Eine protorassistische Gewissheit, die über Wochen selbst durch seriöse Tageszeitungen sickerte.
Die Banker und Manager zogen sich erst den Unmut der Bevölkerung zu, als klar wurde, dass sie auch nach der Finanzkrise weiterhin Milliardengewinne einstrichen durch Boni und satte Gehälter; unter anderem deshalb, weil sie auf die Rettung durch den Staat gewettet hatten. Dass wir alle gleichzeitig ebenfalls das Vermögen der Reichen, ihre Einlagen und Aktiengewinne mit unserem Geld gerettet haben, das wurde in der Öffentlichkeit praktisch nicht wahrgenommen.
Kein Wunder, dass sich die Politiker nicht zu schade waren, mit einer wohlfeilen Gratismoral die »Gier« der Banker und Manager zu belärmen: Das »wahnsinnige Streben nach immer höherer Rendite« müsse ein Ende haben, sagte etwa Exf inanzminister Peer Steinbrück 2008 in einer Regierungsklärung vor dem Bundestag. 243 Moment, wer war noch mal Peer Steinbrück? Ach so, ja: Sein Ministerium hatte 2001 die Deregulierung der Finanzmärkte durchgesetzt, den Derivatenhandel liberalisiert und 2003 mit der »Investmentmodernisierung« Hedgefonds zugelassen. Damit hatten Steinbrück & Co der »Gier« ein gesetzliches Fundament gegossen. Heute wettert Steinbrück: »Wir müssen die grauen Finanzmärkte austrocknen, und wir müssen dem Treiben der Schattenbanken ein Ende setzen«, und plädiert für eine drastische Einschränkung hochriskanter Spekulationen wie Derivate. 244 Und Uraltkanzler Helmut Schmidt, dessen autoritären »klaren Worte« (etwa so abfällige Bemerkungen wie: »Lasten? Ja, herzliches Beileid! Ihr jungen Leute habt ein ganz schweres Leben vor euch.« 245 ) der durchschnittliche » Beckmann« -Zuschauer nur allzu gerne hört, stellte Steinbrück mit dem gemeinsamen Buch Zug um Zug ein Empfehlungsschreiben für die Kanzlerkandidatur aus. Schmidts joviales »Er kann es« nahm der Spiegel auf den Titel, 246 das habe er als Finanz minister der Großen Koalition bewiesen – wenige Monate zuvor lärmte Schmidt, dass die Investmentbanker uns »in die Scheiße geritten« hätten. 247 Dabei waren die bösen Banker genau jene Geister, die sein Wunschkandidat Steinbrück gerufen hatte.
Offenbar verlassen sich Schmidt und Steinbrück darauf, dass die Wähler unter Amnesie leiden. Und das Schlimme ist, so befürchtet Michael Hartmann: »Sie haben das wirklich vergessen. Beziehungsweise sie haben es nicht gemerkt. Diese ganzen Deregulierungsmaßnahmen sind ja nicht in der Presse erörtert worden. Das ist in kleinem Kreis hinter verschlossenen Türen entschieden worden.« So gesehen ist Steinbrück ein Musterbeispiel für die Überzeugung der Elite, dass nur sie wisse, was die Stunde geschlagen hat. Der Versuch, Steinbrück sozusagen via Empfehlung des fast schon mit einem Heiligenschein versehenen Altkanzlers jenseits der normalen Parteiabläufe als Kanzlerkandiaten zu inthronisieren, ist symptomatisch für die Mentalität der Elite, man solle sie nur mal machen lassen.
Wenn jetzt die SPD mit dem Versprechen in den Wahlkampf zieht, den Spitzensteuersatz von 42 auf 49 Prozent zu erhöhen, dann spekulieren die Sozialdemokraten offenbar ebenfalls darauf, dass die Mehrheit der Deutschen an Alzheimer leidet. Denn Rot-Grün hatte den Reichen so großzügige Steuergeschenke gemacht wie keine Regierung je zuvor: Sie senkte den Spitzensteuersatz von 53 auf 42 Prozent. Die reale steuerliche
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