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Wir müssen leider draußen bleiben

Wir müssen leider draußen bleiben

Titel: Wir müssen leider draußen bleiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Hartmann
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parlamentarische Geschäftsführerin und arbeitsmarkt- und sozialpolitische Sprecherin der Grünen, 2003 die komplette Entgleisung der Leiharbeit an. 303
    Leiharbeit war bis 1967 in Deutschland verboten, in den siebziger Jahren war sie auf drei Monate begrenzt. 1985 wurde sie auf sechs, 1994 auf neun, 1997 auf zwölf und 2002 auf 24 Monate verlängert. Seit 2004 gibt es keinerlei zeitliche Beschränkung mehr. Dazu wurde außerdem die Wiedereinstellungssperre aufgehoben. Das bedeutet: Ein Angestellter kann theoretisch an einem Tag gekündigt und am nächsten Tag (für weniger Lohn) wieder beschäftigt werden. Leiharbeit ist Arbeit ohne Rechte – eine moderne Form des Sklaventums. Mehr als zwei Drittel aller Leiharbeiter erhalten heute einen Niedriglohn. Sie verdienen laut einer Studie des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung im Schnitt 20 bis 25 Prozent weniger als regulär Beschäftigte. 304 Laut Deutschem Gewerkschaftsbund verdienen Leiharbeiter in Vollzeit sogar nur halb so viel. Lediglich 19 Prozent kämen auf ein Gehalt von mehr als 2 000 Euro brutto. 305 Daran wird auch der geplante Mindestlohn für Leiharbeiter von 7,89 Euro (brutto!) pro Stunde nichts ändern. Damit sei das Verarmungsriskio von Leihar beitern vier bis fünf Mal höher als in der Gesamtwirtschaft. Jeder achte Leiharbeiter sei trotz Beschäftigung auf Hartz IV angewiesen. Leiharbeit ist zudem nahezu ein Garant für Altersarmut: durch die niedrigen Löhne und die Pausen zwischen den Aufträgen ergeben sich nur marginale Rentenansprüche. Darüber hinaus, das hat die Soziologin Sandra Siebenhüter in ihrer Studie Integrationshemmnis Leiharbeit herausgefunden, ist es für Leiharbeiter schwerer, eine Wohnung zu finden, weil sie kein festes Arbeitsverhältnis nachweisen können. 306 Und: Immer mehr Leiharbeiter werden auf 400-Euro-Basis angestellt: Gab es 2006 noch knapp 50 000 Mini-Jobber, waren Ende 2010 bereits 82 000 bei einer Leiharbeitsfirma unter Vertrag. Noch dazu buhlen die 10 000 Leiharbeitsbetriebe um Kunden: Sie verdienen um so mehr, je billiger sie Arbeit verkaufen. 307
    Nicht nur, dass Leiharbeiter unter grässlichen Bedingungen und zu miesen Löhnen arbeiten: Sie ziehen außerdem den Unmut der Stammbelegschaft auf sich. Für die, die noch ordentliche Arbeit haben, sind sie eine fleischgewordene Bedrohung. Mit dem Damoklesschwert des »Heute die, morgen du« über den Köpfen der Belegschaft gelingt es denn auch viel leichter, die Lohnkosten für Festangestellte zu senken – miserable Tarifabschlüsse inklusive. Leiharbeiter sind nahezu rechtelos, ausgeliefert und austauschbar. Sie werden als erstes gekündigt, wenn das Unternehmen in eine (vermeintliche) Schieflage gerät. Gab es im Juli 2008, kurz vor der Finanzkrise, noch 823 000 Leiharbeiter, so sank ihre Zahl bis April 2009 auf 582 000. In nur zwei Jahren ist die Zahl nun wieder auf heute knapp 900 000 gestiegen.
    Besonders ausgiebig nutzt die Metall- und Elektroindustrie Leiharbeiter – dort machen sie bereits fast ein Viertel der Beleg schaft aus. Nirgends sonst in Europa gibt es einen so hohen Anteil. Leiharbeit dient längst nicht mehr dazu, kurzfristige Schwankungen bei der Auftragslage zu kompensieren, sondern dazu, den Kündigungsschutz zu umgehen und die Arbeitsbedingungen für alle zu verschlechtern. 308 In einem Interview mit der Frankfurter Rundschau im Juli 2010 sagte Martin Kannegiesser, Chef des Industrieverbands Gesamtmetall, dass im Jahr zuvor die Zahl der Stammbelegschaft um 200 000 gesunken sei. Eine gleiche Bezahlung von Leiharbeitern und Stammbe schäftigten lehnte Kannegiesser selbstverständlich ab. 309 Auch in der öffentlichen Dienstleistung werden zunehmend Leiharbeiter beschäftigt: Dort finden sich 40 Prozent aller Leiharbeitsverhältnisse in öffentlichen und gemeinnützigen Einrichtungen. In Krankenhäusern, Altenheimen und bei mobilen Pflegediensten hat sich die Zahl der Leiharbeiter seit 2004 verfünffacht.
    Nach Angaben des Bundesverbands Zeitarbeit wechselten 30 Prozent aller Mitarbeiter »in ein eigenes Anstellungsverhältnis, nachdem sie bei Zeitarbeitsunternehmen beschäftigt waren«. Der Verband behauptet, jedes Jahr würden mehr als 200 000 Menschen in den ersten Arbeitsmarkt integriert. Unabhängige Wissenschaftler aber bezweifeln diese Zahlen. Kerstin Ziegler vom Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung sagt: »Auch wenn die Zeitarbeit häufig als Sprungbrett in den regulären Arbeitsmarkt

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