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Wir müssen leider draußen bleiben

Wir müssen leider draußen bleiben

Titel: Wir müssen leider draußen bleiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Hartmann
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gepriesen wird: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Leiharbeitnehmer von seinem Zielunternehmen in eine Festanstellung übernommen wird, ist eher gering. Am Ende der Zeitarbeit stehen nur sieben Prozent der zuvor arbeitslosen Leiharbeiter dauerhaft in einer regulären Beschäftigung.« 310
    Früher sterben für das Wirtschaftswachstum
    Leiharbeit zerstört nicht nur Arbeitsplätze, sondern auch die Menschen: Zeitarbeit macht krank. Das belegt eine Untersuchung der Techniker-Krankenkasse vom Juli 2011: 2010 war jeder Leiharbeiter im Schnitt 15 Tage pro Jahr krank geschrieben. Nicht nur die harte Arbeit geht den Leiharbeitern an die Knochen, sondern auch die psychische Belastung, die durch die beständige Unsicherheit, den häufigen Wechsel des Arbeitsplatzes, die miserable Entlohnung und die Entwertung der Leiharbeiter entsteht. 2010 meldete sich jeder zweite Leiharbeiter psychisch bedingt krank. Innerhalb von zwei Jahren stiegen die Fehlzeiten aufgrund psychischer Malaisen um 12 Prozent. Noch häufiger sorgten nur Muskel- und Skeletterkrankungen für Fehlzeiten. 311
    Armut und schlechte Arbeitsverhältnisse machen nicht nur krank und depressiv – sie verringern sogar die Lebenserwar tung. Ein bemerkenswerter Vorgang ereignete sich im Dezember 2011. Auf eine Anfrage der Linken im Bundestag lieferte die Regierung einen Befund, der belegte, was sie danach selbst nicht wahrhaben wollte: Arme in Deutschland leben bis zu sieben Jahre kürzer. Mehr als zehn Jahre beträgt der Unterschied zwischen den reichsten und den ärmsten Menschen hierzulande. Während die Lebenserwartung der deutschen Gesamtbevölkerung leicht steigt, ist sie für Geringverdiener um zwei Jahre gesunken. 312 Dass Unterschiede selbst in der Lebenserwartung an den sozioökonomischen Status gekoppelt sind, ist ein ungeheuerlicher Befund für das wohlhabende Deutschland: »Die Zugehörigkeit zu einer niedrigen und bildungsfernen sozialen Schicht stellt (…) die heftigste Bedrohung für Leib und Leben dar«, stellte Werner Bartens in der Süddeutschen Zeitung fest. 313
    Doch was nicht sein darf, kann nicht sein – und so hat dieselbe Regierung die Interpretation der Zahlen, die die Deutsche Rentenversicherung vorlegte, prompt für falsch erklärt. Insbeson dere das Arbeitsministerium lehnt diese ab. Arbeitsministerin Ur sula von der Leyen scheute sich in ihrer Rede wenige Tage nach dem Bekanntwerden der Zahlen nicht einmal davor, die angeblich falsche Interpretation dem von Konservativen gern bemüh ten Klischee zuzuschreiben, die Linke lebte in der Vergangenheit und jenseits der Wirklichkeit. »Das ist ein Paradestück dafür, dass die Linken mit Zahlen nicht umgehen können. Es zeigt den tiefen Realitätsverlust der Linken«, sagte von der Leyen. 314
    Dass sich ausgerechnet die Arbeitsministerin derart aufspielt, hat einen banalen Grund: die niedrigere Lebenserwartung hat mit der Arbeit selbst zu tun. Sie ist nicht im lasterhaften Fehlverhalten der Armen zu finden, wie es schon kurz darauf zum Beispiel Patrick Bernau in der FAZ versuchte, der die Armen auch für ihren Tod verantwortlich machte (Rauchen, Tiefkühlpizza und Burger plus zu wenig Sport und zu wenig Freunde). 315 Diese demütigende Schuldzuweisung Richtung Unterschicht funktioniert seit Jahren zuverlässig: Wer das Geld statt für Kinderbücher für Schnaps und Zigaretten ausgibt, wer den ganzen Tag vor dem Flachbildfernseher fläzt und dort im so genannten »Unterschichtsfernsehen« (Paul Nolte) seinesgleichen beim Kinderverhauen, Schuldenmachen und Amtbescheißen zuschaut, braucht sich nicht zu wundern, wenn er fett und krank wird! Selbst wenn Kranke weniger Sport treiben, weniger zum Arzt gehen (etwa, weil sie sich die teuren Behandlungen nicht leisten können), selbst wenn sie sich schlechter ernähren (beziehungsweise hungern) ja, auch wenn sie trinken und rauchen – dann hat das nichts mit ihrer Moral zu tun, sondern mit dem Unglück der neuen Arbeitsverhältnisse, der Arbeitslosigkeit und dem Ausschluss aus der Gesellschaft.
    Es gibt eine ganze Reihe von Untersuchungen, die seit Jahren belegen, wie sich berufliche Unsicherheit, wirtschaftliche Krisen, Existenzangst und finanzielle Not auf die Gesundheit auswirken. Der unglückliche Arbeiter, der sich abrackert und trotzdem nicht vorankommt, hat ein dreifach höheres Risiko als sein gleichaltriger Fabrikdirektor, einen Herzinfarkt zu erleiden. Herzinfarkte und Schlaganfälle nehmen vor allem nach Wirtschaftskrisen zu. 316 Je mehr die

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