Wir müssen leider draußen bleiben
Menschen Angst um ihren Arbeitsplatz haben, desto eher gehen sie außerdem krank zur Arbeit. In ihrem Buch Gleichheit ist Glück. Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind haben die beiden Epidemologen Kate Picket und Richard Wilkinson über Jahre sämtliche Untersuchungen zu gesellschaftlicher Ungleichheit zusammengetragen. Danach stellten Wissenschaftler bereits 1967 fest, dass die Sterbeziffer männlicher Beamter der unteren Ebene drei Mal so hoch war wie die der leitenden Beamten. Die so genanten Whitehall-Studien belegten: Ein geringer Status macht anfällig für Herz-, Lungen- und Darmkrankheiten, für Depressionen und Rückenleiden. Seit den siebziger Jahren ist der Einfluss von sozialer Einbindung und gesellschaftlichem Status auf Krankheit und Lebenserwartung evident. Wo das Leben hart ist, stirbt man früher. Und je höher die Einkommensunterschiede, desto mehr leidet die Volksgesundheit. 317
Knechten für Millionäre
Ein Parkplatz in Duisburg, ein hagerer Mann tritt ins Bild: Peter, der in Wahrheit anders heißt. Es ist zehn Uhr vormittags, er arbeitet seit einer Stunde, verdient hat er bisher keinen Cent. Peter ist Paketbote für Hermes, bezahlt wird er pro Paket, nicht pro Stunde. 60 Cent bekommt er für jede Auslieferung. Heute hat er nur 29 Stück in seinen privaten PKW geladen. Während der vier Stunden, in denen er die Pakete ausliefert, schätzt Peter, wird er auf einen Verdienst von drei Euro kommen. Selbst wenn er wesentlich mehr Pakete ausfährt, sagt Peter, kommt er auf einen maximalen Stundenlohn von drei Euro netto.
Peter ist Protagonist der ARD -Reportage Das Hermes-Prinzip – Der Milliardär und seine Götterboten 318 von Monika Wagener und Ralf Hötte. Der Milliardär ist Michael Otto, dessen Familienvermögen auf 18,7 Milliarden Euro geschätzt wird. Er gehört zu den reichsten Menschen der Welt. 319 Der Logistik- und Paketdienstleister Hermes (Umsatz: eine Milli arde Euro pro Jahr) ist ein hundertprozentige Tochter der Otto-Group (Umsatz: 11,4 Milliarden Euro jährlich). Doch Otto und Hermes sind in diesem Ausbeutungsskandal fein raus: Hermes liefert die Pakete an so genannte SAT-Depots, die selbstständige Unternehmen sind. Diese wiederum engagieren Subunternehmer, die die Pakete ausliefern. Juristisch ist Hermes nicht für die Arbeitsbedingungen der Zusteller verantwortlich.
Mit der Auflösung des staatlichen Postmonopols und dem florierenden Internethandel ist ein riesiger Markt entstan den, der von einem gnadenlosen Konkurrenzkampf um Geschwindigkeit und niedrige Preise gekennzeichnet ist. Nur einer von vielen Belegen, dass Privatisierung und Wettbewerb der Allgemeinheit schaden und den Reichen nutzen.
Peter kann sich nicht leisten, krank zu sein. Er fährt sogar mit Fieber. An Urlaub ist gar nicht zu denken: Wenn er nicht Pakete ausfährt, verdient er kein Geld. Die Hälfte seines Verdienstes geht für Benzin und den Unterhalt seines Autos drauf, er muss so gesehen auch noch dafür zahlen, dass er arbeiten darf. Seit er für Hermes Pakete schleppt und Treppen hinauf und hinunter rennt, seit er sich manchmal entscheiden muss, ob er Zigaretten kauft oder etwas zu essen, hat der Mann 15 Kilo abgenommen. »Würden Sie nicht besser dastehen, wenn Sie Hartz IV beziehen würden?«, fragt ihn Reporterin Wagener. »Eigentlich schon. Das hab ich auch eine Weile gemacht. Aber da bin ich irgendwie nicht der Mensch für«, sagt Peter. Niemand ist das. Deswegen nehmen ja so viele Menschen die unwürdigsten Jobs an. Manche gleich mehrere davon, nur um nicht Opfer der Repressionen und Demütigungen zu werden, die Hartz IV bereitet. »Warum funktioniert das System?«, fragt Wagener. »Weil es halt Menschen gibt, die auf dem Arbeitsmarkt nicht unbedingt die Chancen haben, denen da ein Chance gegeben wird. Die aber dann voll ausgenutzt werden, sprich: unter Druck gesetzt, indem sie gesagt bekommen, du musst das jetzt fahren, sonst brauchst du morgen nicht wieder zu kommen. Ja, dann macht man’s halt.« Wenn man sich Menschen wie Peter anschaut, und es ist unwahrscheinlich, dass er die Ausnahme bildet, dann erscheint einem das gnadenlose und unternehmensfreundliche Prinzip »Fördern und Fordern« als moderne Form der Zwangsarbeit.
»Umweltschutz und soziale Standards wurden bei uns bereits Anfang der achtziger Jahre aufgegriffen, als kaum noch jemand darüber nachdachte. Heute schätzen uns viele junge Menschen als Arbeitgeber, weil wir Verantwortung übernehmen und uns engagieren.«
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