Wir nannten ihn Galgenstrick
versuchte? Sie suchte sich daran zu erinnern, welcher der Hausbewohner der Probe unterzogen werden konnte. Wenn es ihr gelang, ihre Absicht durchzuführen, wäre sie befriedigt: sie würde die Orange essen können. Sie erinnerte sich. Zu dieser Stunde waren die Dienstboten für gewöhnlich nicht da. Ihre Mutter war noch nicht gekommen. Doch das Bedürfnis, eine Orange zu essen, nun vereint mit der Neugierde, sich in einen, von dem ihren verschiedenen, Leib verkörpert zu sehen, zwang sie, so rasch wie möglich zu handeln. Doch da war niemand, in den sie sich verkörpern konnte. Als Grund war es trostlos: es war niemand im Haus. Sie würde ewig von der äußeren Welt in ihrer dimensionslosen Welt leben müssen, ohne die erste Orange essen zu können. Und das alles nur wegen einer Torheit. Es wäre besser gewesen, wenn sie noch ein paar Jahre diese feindselige Schönheit ertragen und sich nicht für immer ausgelöscht, sich wie ein besiegtes Tier unbrauchbar gemacht hätte. Doch es war bereits zu spät.
Sie wollte sich enttäuscht in eine ferne Region des Weltalls zurückziehen, in eine Gegend, wo sie alle ihre verflossenen irdischen Wunsche vergessen konnte. Doch etwas ließ sie plötzlich davon Abstand nehmen. In ihrer unbekannten Gegend eröffnete sich ihr die Verheißung einer besseren Zukunft. Ja, es war jemand im Haus, dessen Leib sie annehmen konnte: die Katze! Doch schon zögerte sie. Es war schwierig, sich damit abzufinden, in einem Tier zu leben. Sie würde das weiche weiße Fell der Katze haben, in ihren Muskeln würde große Sprungkraft wohnen. Nachts würde sie ihre Augen im Dunkeln wie grüne Glut funkeln fühlen. Sie würde weiße scharfe Zähne haben, um ihrer Mutter aus ihrem Raubkatzenherzen mit breitem guten Tierlächeln zuzulächeln. Doch nein! Es durfte nicht sein. Sie stellte sich plötzlich vor, wie sie in dem Katzenkörper durch die Flure des Hauses strich und ihre unbequemen vier Pfoten gebrauchte, und ihr Schweif würde sich zügellos bewegen, ohne Rhythmus, ihrem Willen fremd. Wie würde das Leben in diesen grünen leuchtenden Augen sein? Nachts würde sie zum Himmel aufmiauen, damit er nicht seinen Mondzement auf das Gesicht »des Kindes« verschütte, das auf dem Rücken Tau trank. Vielleicht würde sie in ihrem Zustand einer Katze auch Angst haben. Schließlich würde sie vielleicht mit diesem fleischfressenden Katzenmaul nicht die Orange essen können. Ein gerade entstandener, aus der Wurzel ihres Geistes auftauchender Kälteschauer zitterte in ihrer Erinnerung. Nein. Es war unmöglich, sich in den Leib einer Katze zu verwandeln. Sie hatte Angst vor dem Gedanken, eines Tages im Gaumen, in der Kehle, in ihrem vierfüßigen Organismus das unwiderrufliche Verlangen zu spüren, eine Maus zu essen. Doch sobald ihr Geist den Katzenkörper bevölkerte, würde sie vermutlich kein Verlangen mehr nach einer Orange, sondern das widerwärtige lebendige Verlangen nach einer Maus verspüren. Sie erzitterte bei der Vorstellung, daß das Tier nach beendeter Jagd zwischen ihren Zähnen zappeln würde. Sie fühlte, wie es sich im letzten Fluchtversuch wehrte und sich zu befreien suchte, um wieder in sein Loch zu gelangen. Nein. Alles, nur das nicht. Sie zog vor, ewig und immer in dieser fernen geheimnisvollen Welt der reinen Geister zu bleiben.
Und doch war es schwer, sich mit einem auf immer vergessenen Leben abzufinden. Warum sollte sie Verlangen verspüren, eine Maus zu sehen? Wer würde den Vorrang in dieser Synthese aus Frau und Katze haben? Würde es der primitive Tierinstinkt des Körpers sein oder der reine Wille einer Frau? Die Antwort war kristallklar. Sie brauchte nichts zu fürchten. Sie würde in den Leib einer Katze schlüpfen und ihre ersehnte Orange essen. Überdies würde sie ein seltsames Wesen sein, eine Katze mit der Intelligenz einer schönen Frau. Wieder würde sie der Mittelpunkt aller Aufmerksamkeiten sein ... Und nun begriff sie zum ersten Mal, daß ihre Eitelkeit einer metaphysischen Frau sich über alle ihre Tugenden erhob. Wie ein Insekt mit ausgestreckten Fühlern richtete sie ihre ganze Energie darauf aus, die Katze im Haus zu suchen. Zu dieser Stunde träumte sie vermutlich auf dem Ofen davon, mit einem Baldrianzweig zwischen den Zähnen zu erwachen.
Doch sie war nicht da. Von neuem machte sie sich auf die Suche, doch sie fand den Ofen nicht mehr. Die Küche war nicht dieselbe. Die Winkel des Hauses waren ihr fremd; es waren nicht mehr die mit Spinnweben überzogenen
Weitere Kostenlose Bücher