Wir nennen es Politik
machen. »Haut einfach alles raus, was ihr gerade plant. Egal, wie unfertig es ist. Gerade der Input, der dann kommt, ist ja besonders wertvoll.«
»Das können wir nicht machen«, ist dann die häufigste Erwiderung: »Wenn ich jetzt was Unfertiges publiziere und da ist ein Denkfehler drin, dann werde ich zerpflückt. Das wird schon im Kern zerredet.«
»Ich weiß nicht«, erwidere ich dann. »Mein Meinungsfindungskonzept war noch lang nicht fertig und das wurde nicht zerredet. Man hat mich halt drauf hingewiesen, wo Schwächen waren. Aber ziemlich nett eigentlich.«
»Ja, du bist ja auch eine Frau.«
Ach ja. Die Frauen-Sache. Da muss ich auch noch mal ein Kapitelchen zu schreiben. Erinnern Sie mich daran.
Mich machte daran so fusselig, dass dieses Phänomen natürlich nichts damit zu tun hat, dass ich eine Frau bin. Auch Frauen bekommen bei uns regelmäßig eins auf den Deckel. Ich glaube fest daran, dass es daran lag, dass niemand von mir erwartet hat, dass ich irgendwas im Hinterzimmer austüftelte, was dann perfekt präsentiert wird. Man war es gewohnt, dass ich viel publiziere und entsprechend manchmal auch unreifen Stuss. Gewöhnung und Erwartung werden in der Kommunikation häufig unterschätzt.Ich sagte ja schon, dass es nur das erste halbe Jahr so toll geklappt hat, allen zuzuhören und allen zu antworten. Irgendwann im Oktober gelangte ich unversehens in die Öffentlichkeit und die Medien. Das ist eine ganz neue Herausforderung, was Offenheit betrifft. Ich habe es bloß am Anfang nicht so wahrgenommen. Prozesse funktionieren oft ganz anders, wenn es um nichts geht. Kommt man aber plötzlich in die tatsächliche, große Politik, spielen neue Faktoren eine Rolle, die einem vorher nebensächlich erschienen. Zum Beispiel das Geschlecht.
Frauen in der Politik
Ich dachte nie, dass ich dieses Kapitel hier schreiben würde. Mein Leben lang habe ich mich für eine Person gehalten, die mit Feminismus nichts am Hut hat. Ich habe mich sogar sehr geärgert über Feministinnen. Feminismus (oder besser: was davon bei mir ankam) vermittelte mir ein Bild humorloser und verbissener Frauen, die sich am besten als Männer verkleiden. Wer »man« schreibt oder traditionelle Umgangsformen mag, macht sich ohnehin verdächtig. Diese Feministinnen haben dafür gesorgt, dass junge Männer mir nicht mehr die Tür aufhalten oder wenigstens furchtbar unsicher werden, wenn sie mir den Stuhl zurechtrücken. Das waren alles Gründe, warum ich mich naiv und scherzhaft als Antifeministin bezeichnete. Ich mochte es nun mal, mich klassisch weiblich zu kleiden und zu gebärden. Und ich mochte keine Leute, die mir das anscheinend verbieten wollten.
Innerhalb der Piratenpartei war es für mich zunächst ein Gerücht, dass Frauen es in der Politik irgendwie schwer haben sollten. Es war sogar gefühlt leichter für mich, gewählt zu werden, als wenn ich ein Mann gewesen wäre. Ich habe sogar bei meiner Kandidatenvorstellung darum gebeten, nicht nur deshalb gewählt zu werden, weil ich eine Frau bin. Oberflächlich hat meine Generation anscheinend so etwas wie eine Quote schon im Kopf. Ich lebte in einer diskriminierungsfreien Welt und verstand nicht, warum man so einen Aufriss um die Rechte von Frauen machen sollte. Doch schon bald nachdem ich im Oktober 2011 den geschützten Bereich meiner eigenen Partei verließ und in die Öffentlichkeit trat, änderte sich alles. Es schlug mir wie eine Keule entgegen. Ich bin eine Frau in der Politik.
Als ich mich nach zwei Monaten im Licht der großen Politik und der medialen Öffentlichkeit am stummsten fühlte, schrieb ich Folgendes in meinem Blog:
Zwischen meiner Wahl zur politischen Geschäftsführerin der Piratenpartei Deutschland am 15. März 2011 und dem 5. Oktober 2011 wollte mich niemand vor seiner Kamera sehen. Mehrfach hat Sebastian Nerz mich als Ersatz für sich für Interviews oder Talkshows angeboten, wenn er keine Zeit hatte. Es war aber immer so, dass man dann lieber ganz auf das Interview verzichtet hat. Warum wollte mich niemand sehen? Einige Journalisten hatten mir gesteckt, dass es daran läge, dass ich eine Frau bin und man lieber »den typischen Piraten« zeigen wolle; und der sei nun mal männlich.
Auch bei der Bundespressekonferenz am 5. Oktober wollte mich niemand haben. Das heißt, unsere Partei wollte mich schon dabei haben. Der stellvertretende Pressesprecher und Sebastian Nerz haben sich dafür eingesetzt, dass ich neben Sebastian und Andreas Baum als Dritte dort sitzen
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