Wir sehen uns in Paris
schuldbewusst zusammen. Schuldbewusst, weil sie nichts sagt und auch nichts sagen wird. Ein blödes Gefühl ist das. Trotzdem. Sie macht alles richtig! Sollen die Erwachsenen doch mal sehen, wie sie mit den eigenen Entscheidungen von Kindern umgehen! Sie denkt daran, bis sie im Bett liegt und sich von einer Seite auf die andere wälzt.
Hannah war heute im Café wirklich klasse. Keine Vorwürfe. Kein entsetztes Augenrollen. Aber dann hat Hannah sie doch gebeten, eine Nacht darüber zu schlafen. Das versucht sie jetzt. Aber ihr Entschluss bleibt. Er ist für sie richtig. Und sie muss es allein machen! Auch wenn Hannah angeboten hat, mitzufahren. Sie will ihre beste Freundin da nicht zu sehr reinziehen. Schließlich geht es hier vor allem um sie und um Clara – eine Familienangelegenheit.
Durch das geöffnete Fenster dringen die Geräusche der Nacht. Sie hört leise fröhliche Stimmen auf der Straße. Wahrscheinlich kommen sie aus dem Literaturcafé , das hat auch abends noch lange auf. Isabella wälzt sich auf die andere Seite. Jetzt ist es zu spät, um Hannah anzurufen. Dabei hatte sie es versprochen. Draußen frischt der Wind auf. Wird es endlich kühler?
John steht in der U-Bahn und fährt durch die nächtliche Stadt. Es sieht nach Sturm und Regen aus und ein böiger Wind fegt draußen über die Gleisanlagen. Im Fabrikkauf hat er am Abend alles stehen und liegen lassen. Er hat geahnt, dass nach Feierabend Harpo auf ihn lauern würde, und dem muss er unbedingt aus dem Weg gehen. Doch als John sich dem alten Lokschuppen näherte, in dem er mit Danni und ein paar anderen Straßenkids schläft, sah er Harpo schon von Weitem. Und Harpo war – wie immer – nicht allein.
Es geht wieder um Geld. Auf der Straße geht es immer darum. Um was denn sonst? Doch es ist sein Geld. Es ist sauer verdient und er braucht es unbedingt. Darum fährt John nun allein durch die Nacht. Er muss die Zeit überbrücken, bis es Harpo und den anderen zu langweilig wird, auf ihn zu warten.
Im Fabrikkauf ist John für die Getränkerückgabe zuständig. Auch das Flaschensortieren gehört dazu. Harpos Idee war einfach: John sollte jeden Tag ein paar Kisten Leergut herausreichen, hinten an die Rampe stellen und das Maul halten. Harpo kam dann mit den Kisten vorn wieder hereinmarschiert und kassierte.
Das ging eine Weile gut. Obwohl John seinem Chef kaum noch in die Augen schauen konnte. Der Marktleiter im Fabrikkauf ist eigentlich ganz okay. Ein älterer schweigsamer Mann, der in einem schmutzigen Kittel im Laden herumsteht, die Hände in den Taschen hat und ängstlich darauf achtet, nicht beklaut zu werden. Piekfein ist die Gegend nicht. Und der Fabrikkauf trägt nicht viel dazu bei, ihr Image zu heben. Vorn, im Fenster zur Straße, schreiend bunte Reklame, und hinter dem Gebäude breitet sich die reinste Trümmerlandschaft aus, ungepflegt und schmutzig.
Seit ein paar Wochen hat John nun diesen Job, den vorher sein Vater gemacht hat, und er hofft immer noch, dass der wieder auftauchen wird.
Natürlich ist die Bezahlung schwarz, alles bar auf die Hand. Der Chef lässt John außerdem duschen und billig einkaufen. Von seinem mageren Lohn kann John sogar ein paar Euro beiseitelegen. Er will zurück nach Saarbrücken. So bald wie möglich, denn die Suche nach seinem Vater hat sich als Sackgasse entpuppt. Aber es wird noch dauern, bis er genug Geld zusammenhat.
John hat versucht, sich aus allem herauszuhalten. Er will mit niemandem auf der Straße Ärger. Und mit Harpo schon gar nicht. Der ist absolut gestört, findet John. Aber auf der Straße kann man sich nicht wirklich aus allem heraushalten. Schon gar nicht, wenn man ein bisschen Geld zurücklegen will.
Und Harpo, der riecht Geld. Bedroht ihn. Erpresst. Als das Ding mit der Pfandrückgabe gut klappte, ist er gierig geworden. Plötzlich ging es ihm um das Wechselgeld aus der Pfandkasse und um Johns Lohn.
Als John sich weigerte, stellten sie ihn auf den Kopf, nahmen ihm sein Geld. Und dann beging er den Fehler, Harpo von seiner kleinen Schwester, von Marie, zu erzählen. Das war unverzeihlich. »Heulsuse« und »Weichei« nannten sie ihn. Sie standen am Lokschuppen, ganz dicht am Maschendrahtzaun. Es war beinahe dunkel. Und John war allein. Harpo nicht. Der kam nie allein. John hatte keine Chance.
Harpo hörte sich Johns Erklärungsversuche mit spöttischer Miene an, dann zog er ihn ganz nah an sich heran und schlug zu. Kurz und hart. John sah dabei das Grinsen in Harpos Gesicht. Der Kerl
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