Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit
gespalten! Er sieht sich ja gar nicht selber zu! Überrascht lässt er sich tiefer sinken, in Henriettes frisches Plumeau hinein.
Ich will Ernest Peguilhen sagen, fängt sie an, was zu erledigen ist. Er muss so vieles für uns tun!
Jaja, sagt Heinrich. Er ist ein bisschen amüsiert.
Vor allem muss er Louis beistehen, der arme Louis! Er wird gar nicht denken können, wenn er es erfährt. Ich weiß es, er hat sich in praktischen Dingen immer auf mich verlassen. Und dann dieser Schock!
Heinrich muss sich das Kichern verkneifen, ja, was für ein wunderbarer, herrlicher Schock! Die anderen werden schon wissen, was zu tun ist, die andern wissen immer, wie alles geht, aber na gut, soll sie es schreiben, er sagt nichts. Er sieht ihr weiter zu.
Ich muss ihm sagen, wer welche Dinge bekommensoll, ich habe alles zurechtgelegt. Die schöne Seife zum Beispiel, die ich gekocht habe, sie liegt in dem Schrank in der Kammer, er soll sie – sie schluckt etwas, räuspert sich – also, Pauline soll sie bekommen. Sie ist sehr fein, ich habe Duftstoffe zusammengespart, um sie zu machen, ich habe sie meinem Vater aus dem Laden abgeschwatzt, du weißt ja, Luxusartikel sind knapp bemessen, die Franzosen sind ganz versessen darauf, es bleibt ja kaum etwas für uns.
Sie tunkt die Feder in das Tintenfass und leckt sich konzentriert über die Lippen. Sie hat sich diesen Augenblick oft vorgestellt, in den letzten Wochen, wie Louis sie finden würde, tot. Sie hat ihn sich gern und lebhaft vorgestellt. Wie er voller Entsetzen wäre, wie er die Handschuhe ausziehen und in die Ecke schleudern würde, wie er es manchmal tat, wenn er verzweifelt war, wie er bleich würde und bei ihrem leblosen Körper niedersinken würde, wie er die kalte Hand nehmen und mit Küssen bedecken, schuldbewusst, schamerfüllt, endlich sehend, begreifend –
War er in dich verliebt?
Bitte?
War er in dich verliebt, Peguilhen?
Wie kommst du denn darauf?
Henriette wird rot.
Nun ja, ich dachte nur, wenn du ihm so vertraust – ich meine, wie war es denn in Königsberg?
In Königsberg hätten
wir
uns auch schon kennenlernen können, lenkt Henriette ab und seufzt.
Ja, hätten, hätten, antwortet Heinrich. Es fängt anihm Spaß zu machen, sie ein kleines bisschen zu ärgern. Irgendwie muss man die Nacht ja herumbringen, an Schlaf ist gar nicht zu denken. Er fuchtelt mit dem Plumeau herum, im Liegen kühlt man aus, er schiebt die Beine darunter, zieht es über die Schultern und macht es sich gemütlich darin.
Henriette hält im Schreiben inne. Sie beobachtet Heinrich und schüttelt den Kopf. Was für ein Kind. Das Bett ist hin. Sie streut Sand auf die Zeile, um sie zu trocknen, schüttelt den Sand wieder ab.
Er hat mir zugehört. Er hat mir geholfen, wenn ich in eine schreckliche Schwermut verfiel. Er hat gesagt, nur Ablenkung hilft. Er hat mir an seiner Werkbank das Drechseln gezeigt. Du weißt doch, nicht alle, die von Berlin so schnell geflohen waren, hatten zu tun. Sie horteten die Kassen und warteten auf Anweisungen des Königs, auf neue Anordnungen für ihre Ämter. Wir hatten Zeit. Wenn wir nicht gerade Essen und anderes finden und besorgen mussten, saßen wir alle herum. Der Kreis der Bekannten, die wir hatten, war nicht sehr groß. Wir fühlten uns einsam. Du musst bedenken, Pauline war gerade mal vier. Ich weiß gar nicht mehr, wo wir Ernest zum ersten Mal trafen. Er war vorher in irgendeinem Nest in der Provinz, er hatte dort einen Posten, bis die Polen kamen. Er ist ja um einiges älter als wir. Er und seine Frau haben Louis und mir geholfen, wir lernten die Manitius kennen, Carl und Carolina, und ein paar andere. Vor allem Carolina, ich weiß nicht, wie wir die Zeit ohne sie überstanden hätten. Sie hat sich auch so gut um Pauline gekümmert, sie brachteihr oft Kekse und Kuchen. Und Ernest besorgte einen Kinderschlitten für sie. Es gab ja Schnee in rauen Mengen. Was fragst du überhaupt, du kennst ihn doch selbst. Es ist außerdem gut, einem Juristen solche letzten Dinge anzuvertrauen.
Der gleichmäßige Klang ihrer Stimme beruhigt Heinrich. Er schließt die Augen. Sie erzählt, sie hört gar nicht mehr auf, von Ostpreußen, dem Königsberger Winter, von ihrer ersehnten Rückkehr im Sommer, nach dem Friedensschluss, über die Ostsee, was hat sie nicht alles erlebt, so jung, wie sie war, sie erzählt, sie unterbricht sich, die Feder kratzt, Heinrich blinzelt manchmal noch, das weiße Kleid am Schrank bewegt sich, als stünde da ein
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