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Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit

Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit

Titel: Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
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treibt und treibt, und dann – eine Krankheit, wenn du so willst, eine Überreizbarkeit des Gemüts, die sich ihre Anlässe sucht, eine Neigung, sich ganz hinzugeben, dem Tod, wie einem lieben Freund.
    Wann hat es angefangen, ihn so zu denken?
    Ich weiß es nicht mehr, mein Liebster, es ist mir, als wäre er schon immer da, ich hatte nur keinen Namen für ihn.
    Ach, Jettchen.
     
    Beide werden still für einen Augenblick. Sie haben das Kopfkissen an das Ende des Bettes geklemmt und lehnen sich an, beide halb unter dem Plumeau, in schüchternem Abstand, doch dicht beieinander. Sie trinken Wein aus den geschliffenen Gläsern, ihr Blick schweift durch das Zimmer, zu den Türen, an die Decke, zum Fenster. Sie sehen die Balken und sehen sie nicht, sie riechen den fremden Geruch und riechen ihn nicht. Sie spüren die Zugluft, die durch das Fenster eindringt oder den Spalt unter der Tür. Es ist, als hörten sie eine langsame Musik.
    Als ich zur Welt kam, fährt Henriette schließlich fort, war er schon durch unser Haus gegangen. Zwei Schwestern hatte ich, zwei tote Schwestern, kleine Mädchen, dienicht lange lebten. Zweieinviertel Jahre alt wurde die eine, sie starb an den Pocken, und die andre starb an den Zähnen, acht Monate zählte sie. Meine Mutter trug ihre Bilder in einem Medaillon, kleine Zeichnungen, die ein Freund angefertigt, sie herzte und küsste sie jeden Tag, und sie erzählte mir von den kleinen Schwestern. Sie sind hier bei uns, sagte sie, und Tränen benetzten ihre Wimpern, wieder und wieder. Du kannst mit ihnen sprechen. Hör nur ganz genau hin! Und ich lauschte mit riesigen Ohren. Ich suchte sie. Ich durfte leben, sie nicht. Juliana Frederica Emilia, so hieß meine älteste Schwester. Du weißt ja, man gibt dem zweiten Kind den Namen des ersten, wenn es früh verstirbt? Catharina Maria Aemilia, das war die zweite. Ihr Geburtstag fiel in den Mai, wie mein eigener, wir dachten dann stets an sie. Emilia und Aemilia.
    Ein Zwillingspaar, wie Lieben und Sterben.
     
    Was für eine sonderbare Nacht. Sie scheint nie zu enden.
     
    Die Nacht, Zeit der Gespenster, Zeit der Engel, Zeit der Träume, Zeit der Erholung, Zeit des Schlafes, die Nacht. Zeit der Geheimnisse, Zeit der Sehnsucht, Zeit, in der die Zeit sich öffnet, in die Falten deines Lakens, deines Lebens, in die Weite der Sterne, des Himmels
,
wie hat Novalis gefragt:
    Hast auch du ein Gefallen an uns, dunkle Nacht? Was hältst du unter deinem Mantel, das mir unsichtbar kräftig an die Seele geht? Köstlicher Balsam träuft aus deiner Hand, aus dem Bündel Mohn. Die schweren Flügel des Gemüts hebst du empor. Dunkel und unaussprechlich
fühlen wir uns bewegt – ein ernstes Antlitz seh ich froh erschrocken, das sanft und andachtsvoll sich zu mir neigt, und unter unendlich verschlungenen Locken der Mutter liebe Jugend zeigt.
     
    Bist du nicht ein Vorgeschmack auf den Tod? Nennen wir ihn nicht einen sanften Schlaf? Kehren wir nicht zurück –
    Zeit der Nacht, Zeit der Unendlichkeit –
     
    Sie nicken ein wenig ein, Heinrich und Henriette, ihre Köpfe neigen sich einander zu, die Augen haben sie geschlossen, sie atmen ruhig. Es ist wie ein Halbschlaf, in dem sie weiter denken, fühlen, sich erinnern,
    jetzt bist du dran, murmelt Henriette, erzähl mir etwas von der Oder. Von deiner Kinderzeit. Deiner –
    Die Oder?, fragt Heinrich und gähnt. Und plötzlich rappelt er sich hoch, schiebt sich aus dem Plumeau und steht auf, verfolgt von Henriettes gespannten Blicken. Er geht durchs Zimmer, verschwindet durch die Tür, nach nebenan, ruft, ich komme gleich wieder. Sie wartet und lauscht.
    Sie hört ihn rumoren, dann, überlaut in die Stille der Zimmer hinein, ein Strahl, der auftrifft, in einen Hall, oh!, sagt sie und schlägt die Hand auf den Mund, er   –! In den Nachttopf. Jetzt verändert sich das Geräusch, die Schärfe wird dunkler, weil der Topf sich füllt, sie spürt geradezu seine Konzentration, ganz nah. Sie wird rot, es ist ihr peinlich und zugleich ist da ein seltsames Kribbeln. Erneutes Rumoren, es scheppert dumpf auf dem Boden, er schiebt wohl den Nachttopf zurück unters Bett. Plötzlichlöst sich etwas in ihren Gliedern, sie streckt sich wohlig und denkt, wie einfach im Grunde doch alles ist, er macht sich gar keine Gedanken! Und sie lockert schnell ein wenig die Schnüre ihres Kleides, so gut, wie sie sie an ihrem Rücken erreichen kann, so hat sie es viel bequemer. Das Zimmer liegt im sanften Licht der Kerzen, selbst die Holzdielen

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