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Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit

Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit

Titel: Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
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leuchten warm –
    Da bin ich wieder, sagt Heinrich und lacht, ganz unbefangen. Sein Hemd hängt locker, die Zunge ist ein wenig schwer, er geht durch das Zimmer, nimmt den Krug mit dem Wasser und trinkt, gierig, durstig, er trägt ihn zu Henriette und lässt auch sie trinken, gierig, durstig, aus dem Krug, er trägt ihn zurück zum Waschtisch. Geht zum anderen Tisch, füllt sein Glas mit Wein, bringt es ihr, geht noch einmal, füllt das andere, kommt zurück und setzt sich.
    So muss er gewesen sein, mit seinen Freunden, denkt Henriette, wie schön! So anders als alle, die sie jemals gekannt.
    Sie hat den Kopf jetzt auf die rechte Hand gestützt, ihr Kleid ist verrutscht, das Unterkleid guckt hervor, die Beine hat sie angewinkelt, eins auf, eins unter dem Plumeau, in der Linken hält sie ihr Glas Wein. Ich bin glücklich, möchte sie sagen, ich bin unendlich glücklich.
    Heinrich sitzt auf dem Stuhl, den er ans Bett gezogen hat, er schiebt die Füße unter das Federbett, darf ich?, und er lacht, wie ein Junge, frei und offen, und wenn er die Augen zusammenkneift, sieht Henriette aus wie
Hein
riette, was auch immer das meint. Es gefällt ihm, jedenfalls, es gefällt ihm sehr gut. Auch er ist seltsam heiter.
    Die Oder, sagt er, breit und träge erscheinend, hat gefährliche und gefährlich viele Stromschnellen, liebe Freundin, man muss sie kennen. Viele unterschätzen sie. Ich habe erlebt, wie sie über die Ufer trat, ich war noch ein Junge, sie hat die halbe Stadt überschwemmt. Graugrün ist sie, ein schimmerndes Band, und immer von einer Schwermut, wie der Himmel selbst, ob Sommer oder Winter, so hat sie hinter der Garnison gelegen, ich sage es dir. Ich bin gern dorthin gegangen, als Junge, habe im Gras gesessen, im Schilf; die niedrigen Büsche am gegenüberliegenden Ufer, hellgrüne Tupfer in der Landschaft, haben mir etwas erzählt. Oder ich habe ihnen etwas erzählt, von all den Gedanken und Stimmen, die sich in meinem Kopf versammelten –
     
    Es hatten immer schon, solange er sich erinnern konnte, viele fremde Stimmen in ihm gewohnt. Die Schwestern, gesellig bis zur Selbstauflösung, hatten ihn in die Wohnung anderer mitgeschleppt, erst als Junge, und dann später, als er für eine Zeit nach Frankfurt gekommen war und versucht hatte, dort Fuß zu fassen. Er hatte sie begleitet, er hatte versucht, die Schwestern wie die Fremden zu begreifen, ihr Mienenspiel zu imitieren, ihre Gesten zu erlernen, mit denen sich alle zu verständigen schienen. Doch es war ihm wie eine fremde Sprache, er begriff sie nicht.
    Er hatte versucht, sie zu lernen. Doch sie diente ihm nicht. Er konnte sie nicht nutzen, und später schrieb er über die verwirrende Deutung dieser Zeichen. Erröten, erbleichen, was heißt das? Zittern und lügen, beben und die Wahrheit sagen – und alles genau umgekehrt – wiekannst du es erkennen? Am Wasser hatte er gesessen und alles nachgeahmt, ohne es zu verstehen, er hatte Grimassen gemacht, bis er selber lachte. Er hatte den Büschen, den Vögeln im Schilf und dem Wasser alles vorgespielt, er hatte ihnen anvertraut, was ihn bewegte, und das Schilf war sein Publikum, die Halme waren Hofdamen und Herren, die ihre Köpfe neigten und gnädig applaudierten.
    Doch oft hatte er dort nur gelegen und den Wolken nachgesehen und auf alles gelauscht, was er hörte, das leise und laute Rauschen des Flusses, die Rufe der Männer auf den Schleppkähnen, die Vögel an seinem Ufer, die Insekten, die schnalzten, die Sprache der Natur.
    Er war liebend gern am Wasser gewesen, nicht aber
darin
.
     
    Hab ich dir eigentlich erzählt, dass in Fort de Joux auch der Jakobiner Mirabeau eingesessen hat?
    Tatsächlich? Der Revolutionär?
    Henriette liegt, das Kleid noch etwas weiter gelockert, auf dem Plumeau, in ihrem Zimmer, auf ihrem Bett, ihr linker Fuß baumelt aus dem Bett heraus, sie hat die Arme hinter dem Nacken verschränkt, ihr Kopf ruht darauf, sie sieht aus wie eine spanische Königin, ihr hochgestecktes Haar löst sich allmählich aus den Klammern, dunkel glänzend spielen lockige Strähnen um ihr Gesicht, ihre Lippen sind feucht und sanft ihre Wölbung. Sie sieht Heinrich an, ihre Augen schimmern, ein wenig vom Wein, ein wenig von etwas, in dem sie sich endlich, endlich einmal verliert, denn nichts ist zu verlieren in dieser letzten Nacht.
    Mi… Mi… Mirabeau hat seine Gedanken beim Sprechen entwickelt, das ist doch interessant. Er hat laut gedacht, so wie ich, das ist doch – Heinrich spricht jetzt schon

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